Wer zuerst kommt,…

erhält die besten Schnäppchen. Und wer erster sein will, muss den nötigen Weitblick haben. Das kann man hier auf der Insel von vielen Bergen aus, aber da ist man weit weg vom Geschehen, das sich früher wie heute hauptsächlich in den Städten und Häfen an der Küste abspielte.

Aber ganz der Reihe nach: Das Haus, oder die Villa, um die es sich hier dreht, steht am Rande der Altstadt von Puerto de la Cruz, etwas zurück versetzt von der Calle Iriarte an der Plaza Concejil. Es ist die Casa de Ventoso. Den kleinen Platz davor zieren ein paar Grünflächen und knorrige alte Bäume. An der Ecke steht eine Büste von Paco Afonso, Bürgermeister von Puerto de la Cruz von 1979 bis 1984, von dem später noch die Rede sein wird.




Das Haus mit der typischen dreistöckigen Fassade, der asymmetrischen Fensterfront und dem zentralen überdachten Balkon wurde anfangs des 18. Jahrhunderts erbaut. Seine ersten Besitzer waren der Hauptmann Juan de Arbelo und seine Ehefrau Catalina Pérez de los Ángeles. Deren Erben vermieteten den kleinen Palast 1730 an den Iren Bernard White, der mit dem Weinexport sein Geld verdiente und Getreide und Holz aus Großbritannien und Amerika hier verkaufte.

Und dieser Bernardo Blanco, wie er hier genannt wurde, lies im Jahr 1750 das erste Hochhaus der Insel erbauen. Der Turm hat einen quadratischen Grundriss, einen Keller, fünf Stockwerke sowie eine kleine Dachterrasse. Die außen angebrachte, überdachte Holztreppe führt bis zum zweiten Stockwerk. Auf allen Stockwerken gibt es die typischen Guillotinenfenster nach allen Seiten. Auf der obersten Etage hat der Turm vier Balkone, der größte davon geht Richtung Norden. Vom „Turmzimmer“ hat man eine perfekte Sicht in alle Richtungen.


Der Grund für so ein Hochhaus ist klar: Je besser und früher man die ankommenden Schiffe erkennen konnte, umso zeitiger konnte man am Hafen sein, um sich einen Platz in der ersten Reihe zu sichern und vor den anderen Händlern die beliebtesten Waren zu ergattern und die besten Preise aushandeln zu können.


Solche Ausgucke sind in anderen Küstenorten auch noch zu finden, wenn auch nicht als Turm, z.B. auf mehreren Häusern in Garachico.

Im Jahr 1812 hat der englische Händler Alfred Diston diese kleinen Aquarelle gemalt mit dem Titel „Ausblick vom Fenster meines Zimmers“.


Nach der Geschäftsaufgabe der Familie Blanco Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Haus an eine galizische Händlerfamilie namens Ventoso verkauft. Von diesen hat der Palast bis heute seinen Namen. Die Ventoso bewohnten über hundert Jahre das Haus. Ab 1910 vermieteten die Erben das Haus, und es wurde als Schule, als Arena für Hahnenkämpfe und als Raum für Musikproben „missbraucht“. Nach dem Brand des Rathauses von Puerto de la Cruz im Jahr 1925 zog vorübergehend die Stadtverwaltung ein, und ab 1936, nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs, diente es ein paar Jahre als Militärquartier.
Auf Initiative von Pater Flores Ghöbbe ging das Haus 1950 in die Hände der Kirche über, und sieben Jahre später wurde dort eine Schule eingeweiht, die von den Augustinern betrieben wurde. In deren Besitz verblieb das Gebäude dann fast 40 Jahre lang bis zur endgültigen Schließung der Schule im Jahr 1995. In dieser Augustinerschule hat auch Paco Afonso sein Abitur gemacht, der 1979 bei den ersten demokratischen Wahlen mit großer Mehrheit zum Bürgermeister gewählt wurde. Er war sehr beliebt und setzte sich stark für Kultur und Traditionen der Stadt ein. Unglücklicherweise kam er am 11. September 1984 bei einem Waldbrand auf La Gomera ums Leben.
Bereits 1988 wurde ein Verfahren zur Anerkennung des Turms als historisches Monument eingeleitet. Die Erklärung zum Nationalen Kulturgut war jedoch nicht so einfach möglich, weil es keine grafischen Grundstückspläne oder schriftliche Dokumente gab. Die Inselregierung ließ im Jahr 1997 den Turm restaurieren. Im Jahr 2000 kam ein zu verlängernder Vertrag mit einer Laufzeit von fünf Jahren zwischen der Stadt und dem Bistum zu Stande, der die öffentliche Nutzung des Gebäudes ermöglichen sollte. Man untersuchte auch einen Kauf durch die Stadt, um möglicherweise ein Kultur- und Touristikzentrum dort einzurichten. Seit Juli 2006 bezahlt die Stadt monatlich 1500 € an das Bistum als Miete, so lange bis der Grundstücksverkauf abgewickelt werden kann. Die Bürgermeisterin Lola Padrón, bis 2011 im Amt, forderte beim Kultusministerium die Finanzierung für eine komplette Restaurierung an.

Doch sowohl auf die Restaurierung dieses historisch bedeutsamen Komplexes als auch auf die Nutzung zu den genannten Zwecken wartet man heute immer noch. Von vorne sieht das Haus noch stattlich und sauber aus, über Weihnachten findet in den vorderen Räumen auch eine schöne und beliebte Krippenausstellung statt, doch hinter der Fassade bröckelt der Putz und verschimmelt die Einrichtung, der Hinterhof ist voll von Unkraut.




So ist der Ventoso-Palast ein weiteres Beispiel, wie schwerfällig die Verwaltung bei der Erklärung von nationalen Kulturgütern arbeitet. Und Einwohner wie interessierte Besucher warten weiterhin darauf, dieses emblematische Gebäude mit dem einstmals höchsten Turm der Insel besichtigen zu können.


Im Sommer 2019 wurde der Platz vor dem Gebäude neu gestaltet. Leider gibt es nun weniger Grünflächen und die Sitzgelegenheiten aus Beton, die wie Sofas aussehen sind einfach nur unbequem.

Übrigens: Im Jahr 1962 entstand in Puerto de la Cruz noch einmal das höchste Haus der Insel. Das Hotel Belair. 1983 wurde es umgewandelt in ein Appartement-Haus mit Eigentumswohnungen.
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Artikel-Nr. 23-3-52