In 5 Minuten von La Orotava nach Güímar.

Ist das ein Traum oder ein Alptraum, oder beides? Oder einfach nur ein Scherz? Nein, es ist ein ernsthafter Vorschlag von namhaften Politikern, als Lösung für die alltäglichen Staus auf den Autobahnen. Ein Tunnel soll die Lösung sein, direkt von La Orotava nach Güímar. Auto oder Zug, das müsste nur noch geklärt werden.
Es wäre doch schön, sich bequem in einen Zug zu setzen, um von einer Stadt in die andere zu kommen. Wenn es die Schweizer mit dem Gotthard-Basistunnel schaffen, ein 57km langes Loch durch die Alpen zu bohren, dann sollten doch die 12,5km durch die Cumbre dorsal in Teneriffa kein Problem sein. Der führerlose Zug sollte dann mit 180km/h durch den Berg rasen.

Das Projekt könnte aus der Schublade „Unsinniges und Irrsinniges“ stammen, die ab und zu von Politikern, die sich profilieren wollen, wieder geöffnet wird. So im Dezember 2017 von der damaligen Bürgermeisterin Luisa Castro in Güímar, die angesichts der Staus auf den Autobahnen die Notwendigkeit der Wiederaufnahme des Projekts hervorhob.
Ob die seit 2023 amtierende Inselpräsidentin Rosa Dávila auch mit dieser Idee liebäugelt, ist nicht bekannt. Sie ist ja sehr aktiv in Sachen Verkehrspolitik, begnügte sich aber vorläufig damit, mal die Landstraße als dritte Fahrspur der Autobahn auszuprobieren.
Pläne für Eisenbahnen gab es auf Teneriffa schon länger:

Für den Tunnel soll angeblich schon im Jahr 1976 eine Firma Agroman zwei große Tunnelbohrmaschinen gekauft haben, aber das könnte auch ein Märchen sein. Tatsache ist, dass im Jahr 2008 der damalige Inselpräsident Ricardo Melchior diese Schublade weit öffnete: „Die Initiative tauchte vor fünf oder sechs Jahren auf, als wir die Möglichkeit sahen, den Norden und Süden zu verbinden ohne den Inselring via Autobahn. Ich habe auf der Messe in Berlin mit der Firma gesprochen, die die beste Erfahrung im Tunnelbau hat, und freundlicherweise haben sie die fähigsten Experten auf die Insel geschickt, um diese Idee zu untersuchen.“ Melchior verlautete ernsthaft, dass das Projekt in den nächsten neun Jahren (also bis 2017) fertig sein könnte. Was allerdings fehlte war die Finanzierung der damals geschätzten Kosten von 500 000 000 Euro.

Konkret sollte der geplante Tunnel in direkter Verbindung 12,5km lang sein. Allerdings würden hunderte von Wasserstollen den Bau erheblich erschweren. Es müssten nicht nur teure Abdichtungsmaßnahme ergriffen werden um Wassereinbrüche zu verhindern, sondern der Tunnel müsste mit mehreren Steigungs- und Gefälleabschnitten und in in einer großen Kurve gebaut werden, so dass seine Gesamtlänge auf 17,5km ansteigen würde.
Der kanarische Chef-Geologe Telésforo Bravo hatte sich schon lange vor Melchior zu dieser Idee geäußert. Von diesem „historischen Meilenstein“ sei schnellstens Abstand zu nehmen, da sich der vulkanische Untergrund plastisch wie ein zäher Teig verhält und dies unkalkulierbare Risiken darstelle. Der Tunnel sei absolut nicht realisierbar. Auch die Umweltschützer schlossen sich überwiegend dieser Meinung an, wenngleich einige von ihnen einen Rückgang von Luftbelastung und Lärm als Vorteil vor allem für die Hauptstadtregion anführen, weil sich dort dann der Autoverkehr verringern würde.
Der Präsident der Vereinigung der Bauunternehmer war auch dafür: „Es gibt heutzutage nichts, was man nicht bauen kann, und es gibt auf der Welt noch viel kompliziertere Tunnels. Nur der politische Wille ist nicht da.“
Doch will überhaupt jemand direkt von La Orotava nach Güímar fahren? Es gibt keine Bedarfsuntersuchungen oder Studien dazu. Die Bahnhöfe müssten sinnvollerweise im Zentrum der Städte gebaut werden. Doch wo in La Orotava könnte ein Bahnhof entstehen? Vielleicht unterirdisch, wie bei Stuttgart 21?
Selbst die träumerische Ex-Bürgermeisterin von Güímar gab zu, dass das Projekt eigentlich nur Sinn machen würde, wenn der Tunnel Anschluss an die Bahnstrecken des Tren del Sur (von Santa Cruz nach Los Cristianos) und des Tren del Norte (von Santa Cruz nach Los Realejos) bekommen würde. Der Traum, mal schnell in 5 Minuten vom kalten Norden auf die warme andere Seite zu flüchten, wird wohl nie Wirklichkeit werden.

Denn beide Bahnlinien sind ebenfalls zu großen Teilen noch Träume. Dabei wurde schon 1997 eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Die Zeitung La Opinion zitierte am 30.11.2008 den damaligen Minister für Wirtschaft und Wettbewerb, Carlos Alonso: „Das Cabildo will die Bauarbeiten am Tren del Sur im Jahr 2011 und am Tren del Norte im Jahr 2013 beginnen.“ In derselben Zeitung liest man neun Jahre später am 24.9.2017 die Nachricht von Carlos Alonso, der inzwischen Inselpräsident wurde und im Aufsichtsrat von Metrotenerife saß: „Das Projekt Tren del Sur wird reaktiviert.“


Woran ist es seitdem gescheitert? An der Finanzierung. Und es ist wie überall: Ursprünglich ging man von 1803 Mio. € aus, schon 2019 wurden 3000 Mio. € als Untergrenze gesehen. Doch wo soll das Geld herkommen?

Ursprünglich sollten es zwölf Stationen werden, jetzt spricht man noch von sieben. Nachdem im Oktober 2017 der Gemeinderat von Candelaria den Bau des Tren del Sur abgelehnt hatte, freute sich die ehrgeizige Bürgermeisterin von Güímar: „Wenn die ihn nicht haben wollen, muss der Bahnhof bei uns gebaut werden.“
Ende 2018, so Carlos Alonso, könnte der endgültige Trassenverlauf feststehen, ab 2019 könnte dann mit den Verhandlungen zur Enteignung der Grundstücksbesitzer begonnen werden. Von den 615 betroffenen Privatgrundstücken liegen allein 46% im Tal von Güímar. Doch auch fünf Jahre später sind diese Verhandlungen noch lange nicht abgeschlossen.
Wie der Trassenverlauf durch Arona und Los Cristianos verlaufen könnte, zeigt dieses Video, eine Master-Arbeit an der Universität von Girona aus dem Jahr 2008:
Noch viel weiter in den Sternen liegt das Projekt des Tren del Norte. Die technischen Schwierigkeiten sind hier viel größer. Von Santa Cruz nach La Laguna müssten auf einer kurzen Steilstrecke erst einmal 600 Höhenmeter überwunden werden. Zwischen Tacoronte und Santa Úrsula würde die Trasse fast nur in Tunnels und auf Brücken verlaufen. Und wie soll der Zug das dicht besiedelte Tal von La Orotava durchqueren? Der Widerstand in der Bevölkerung ist groß.



Die Träume gingen sogar so weit, dass schon von einem kompletter Eisenbahnring um die Insel gesprochen wurde. Doch nicht einmal beim Autobahnring ist klar, wie das fehlende Stück zwischen Los Realejos und Icod finanziert wird und wann es endlich fertig sein könnte.

Noch ein anderes Traumprojekt wurde im Jahr 2013 von Ricardo Melchior favorisiert. Er wollte die wichtigsten Zentren der Insel sogar mit der Magnetschwebebahn Transrapid verbinden und damit seinen guten Freunden bei Siemens und Thyssen-Krupp ein lukratives Angebot machen. Sogar im deutschen Verkehrsministerium hieß es damals, die Realisierungschancen seien „außergewöhnlich hoch“. Dieses Projekt ist nun endgültig in der Schublade des Cabildo verschwunden.



Doch zurück zum Tunnel. Isaac Valencia, 30 Jahre lang Bürgermeister von La Orotava, war ebenfalls ein starker Verfechter des Tunnels und sagte im Jahr 2003: „Die Tunnelverbindung wäre entscheidend für die Insel durch ihre wirtschaftlichen und sozialen Vorteile.“ Sein Nachfolger will davon nichts mehr wissen. Träumer gab es noch andere, wenn es um dieses Projekt ging. Haroldo Martín, seines Zeichens Bürgermeister von La Victoria de Acentejo, verlautete damals, die Idee von Valencia sei eigentlich ein Tunnel zwischen La Victoria und Güímar gewesen, und nur irrtümlicherweise würde man von La Orotava sprechen. In seiner Gemeinde weiß man sehr wohl um die täglichen Staus auf der TF-5. „Ein Tunnel zwischen unserer Stadt und Güímar ist keinesfalls eine abwegige Idee. Er wäre eine große Erleichterung“, meinte er am 31.12.2017 in einem Zeitungsinterview. Er wurde 2019 nicht wiedergewählt werden. Ausgerechnet sein Rathaus ist eine der drei kanarischen Verwaltungen mit den größten Verzögerungen bei öffentlichen Zahlungsverpflichtungen.
Aber das wäre ja eine ganz andere Geschichte…
Die Geschichte mit dem Tunnel ist noch nicht zu Ende. 2023 gab es wieder eine Studie dazu. Dieses Mal soll der Tunnel von La Victoria nach Las Caletillas gehen, geradewegs durch den Berg. Ein Autobahntunnel soll es sein. 24 Kilometer wäre er lang, und 700 000 Fahrzeuge täglich müssten sich nicht mehr an Tacoronte und La Laguna vorbei quälen. Ein Energieeinsparung von 67,2%, und jeder Bürger, der nicht mehr außen herum fährt, spart angeblich 500 Stunden im Jahr.

Die Zahlen liegen auf dem Tisch, aber es fehlt noch eine wichtige: Was soll es kosten? Und wer soll das bezahlen?
(Fotos: Metrotenerife, El Día, La Opinión, Swissrapid)
Artikel-Nr. 00-000334B1
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