Und weg mit den Gorrillas!
Eine neue Verordnung der Stadt Santa Cruz über Verkehr und Mobilität wird einige Aktivitäten verbieten, die zum alltäglichen Bild der Stadt geworden sind. Der jetzt im Entwurf vorliegende Text bezieht sich auf ambulanten Verkauf, Betteln, Verteilen von Werbung und vieles mehr. Der Artikel V, Kapitel 66, wird zum Streitgespräch in der Stadt.An der Ampel bei IKEA steht ein Jongleur, bunt und lustig gekleidet. Er wirft seine Bälle in die Luft, fängt sie im Genick wieder auf und lässt sie den Arm herunterrollen, wirft sie zwischen den Beinen wieder hoch. Bevor die Ampel auf grün springt, geht er von Auto zu Auto und erhält ein paar Cent, vielleicht einen Euro, und oft auch nichts. Er ist freundlich und lacht, aber er ist arbeitslos und trägt mit seiner Kunst etwas zur Aufbesserung des Haushaltseinkommens seiner Familie bei.
Im morgendlichen Stau auf der Rambla sind zwei Jungs mit Wasserflasche, Schwamm und Gummiwischer unterwegs. Kaum steht der Verkehr, machen sich Antonio und Carlito über eine Windschutzscheibe her. Mit flinken Bewegungen wird geputzt und gewischt. Es muss schnell gehen, damit ein dankbarer Autofahrer ihnen ein paar Münzen zustecken kann, bevor sich die Kolonne wieder in Bewegung setzt.
(Foto: El Mañana)
Woanders werden Taschentücher verkauft, ein junger Mann geht im Handstand über den Zebrastreifen, ein Mädchen spielt auf der Mundharmonika. Sie alle haben in der Stadt eine Nische gefunden, mit der sich eine Kleinigkeit verdienen lässt. Meist nicht, weil es ihnen Spaß macht, sondern weil sie keine andere Arbeit finden. Manche tragen nur still ein Schild vor sich her.
(Foto: Diario de Avisos)
Pedro mimt den Clown an der Straßenecke, der für ein paar Cent die Kinder zum Lachen bringt, aber er selbst hat eine kranke Tochter zuhause.
Genau diese Tätigkeiten will die Stadt nun verbieten. Dabei geht es primär nicht darum, den Autofahrern keine Belustigung oder Unterhaltung zu gönnen. Man will nur „den Verkehr regeln“. Behinderungen des Verkehrsflusses sollen beseitigt werden, auch was den Fußgängerverkehr angeht.
Es ist lästig, wenn man durch die Stadt geht und an jeder Straßenecke angesprochen wird von einem Vertreter einer Nichtregierungsorganisation oder eines Vereins. Das Rote Kreuz, Ärzte ohne Grenzen, Greenpeace, oder der Karnevalsverein, sie alle schicken ihre Leute aus, um auf der Straße Mitglieder zu werben. Oft sprechen sie ältere Leute an, die den penetranten Verfolger nicht so schnell abschütteln können. In Zukunft soll Werbung jeder Art beschränkt werden auf offiziell genehmigte Informationsstände. Herumrennen, springen, oder in größeren Gruppen zusammenstehen, ist ebenfalls verboten, denn es könnte ja andere bei Spazierengehen behindern. Bei Zuwiderhandlungen drohen Geldbußen.
Wer umzieht, braucht in Zukunft eine Genehmigung. Genauer gesagt, das Umzugsunternehmen, das seinen Lkw vor dem Haus abstellen will. Es wird pauschale Genehmigungen geben, oder Einzelgenehmigungen, die 72 Stunden im Voraus zu beantragen sind. So kann die Stadt rechtzeitig die nötigen Maßnahmen ergreifen, um Schilder aufzustellen und Verkehrsbehinderungen so gering wie möglich zu halten. Eine solche Vorschrift mag durchaus sinnvoll sein. Andere jedoch sind höchst fragwürdig.
Am Stadtrand im Viertel Cabo Llanos gibt es zahlreiche brach liegende Grundstücke, die als kostenlose Parkplätze genutzt werden. An der Einfahrt eines solchen staubigen Platzes sitzt Pepe auf einem zerschlissenen Sessel unter einem löchrigen Sonnenschirm. So bald ein suchender Autofahrer vorbeifährt, winkt Pepe ihn herein. Er hat noch eine Lücke frei auf „seinem“ Grundstück. Für diesen Service erwartet er ein Trinkgeld. Das ist freiwillig, aber je mehr er von dem Autofahrer bekommt, um so besser passt er dann auf das Auto auf. Auch diese kleine Dienstleistung wird in Zukunft von der neuen Verordnung mit Geldbußen belegt.
(Foto: Diario de Avisos)
Pepe ist einer von vielen „Gorrillas“ in der Stadt, die Autofahrern ihren illegalen Service anbieten. Pepe sagt, er schade doch niemandem, es sei eine ehrliche Arbeit, und schließlich bewache er die Autos. „Die sind verrückt geworden,“ schimpft er auf die Stadt. „Wenn ich hier um ein Almosen bitte, wie glauben die, dass ich die 200 Euro Strafe bezahlen könnte?“ Er erhält keine Arbeitslosenhilfe und ist auf die paar Euro am Tag zur Unterstützung seiner Familie angewiesen. Acht Jahre macht er das jetzt schon, und für Freunde oder gute Kunden hält er immer einen Parkplatz frei. Er würde gerne etwas anderes arbeiten, aber er findet nichts.
Natürlich gibt es auch Ärger. Bei der Polizei gehen Anzeigen ein, das Auto habe nach der Rückkehr zum Parkplatz einen Kratzer oder eine Delle. Der Fahrer hatte den „Gorilla“ nicht bezahlt. Aber die Polizei ist machtlos, denn es gibt keinen Beweis dafür, dass der Parkplatzwächter der Verursacher war. Laut Verordnung müsste die Polizei auch das zu Unrecht kassierte Geld von den Parkhelfern wieder einziehen, doch wer beweist, dass die paar Münzen in Pepes Hosentasche tatsächlich von den Autofahrern stammen?
So kommt auch von Seiten der Polizei Kritik an der geplanten Verkehrsverordnung. Es gibt viel zu wenig Personal, um all die kleinen Verstöße zu kontrollieren und zu sanktionieren. Sie können erst eingreifen, wenn etwas passiert. Die Polizei hat Wichtigeres zu tun, als Clowns und Jongleure von der Straße zu holen.
Verliert die Stadt ihre kleinen Farbtupfer? Verschwinden die lustigen Gesellen, die morgens den Stau mit ein Lächeln versüßen? Werden die Einparker und die kostenlosen Parkplätze ganz verschwinden? Man wird es sehen, wenn die neue Verordnung die internen Entscheidungsprozesse der Stadt durchlaufen hat und verabschiedet wird.
Artikel Nr. 26-19-111