Ein Unglück auf den Felsen
Obwohl Teneriffas Küsten fast überall wild und felsig sind, haben sich im Laufe der Geschichte kaum Schiffsunglücke ereignet. Eines jedoch war bedeutend: Ein großer Bananenfrachter wurde im Sturm auf den Felsen von Punta Brava zerrissen.

Bis in die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts war La Brava (heute Punta Brava) ein verschlafenes Fischernest. Es war nichts weiter als eine felsige Lavazunge, die trotzig in den Ozean eindrang, eine isolierte Ecke, weit entfernt von einer kleinen Stadt, die früher einmal „Puerto de Orotava“ hieß und in Puerto de la Cruz umbenannt wurde. Große Felsmassen, die teils halb versunken sind und teils an die Oberfläche ragen, bereiteten allen Seeleute und Schiffskapitänen Sorge, die in jenen Jahren häufig den Hafen ansteuerten, um die reichen Früchte des fruchtbaren Tals von La Orotava zu verladen. Selbst die heute so friedlichen Buchten der Playa Jardín waren kein sicherer Platz für Anlandungen.


Die Befürchtungen waren nicht unbegründet. In den frühen Morgenstunden des 11. Dezember 1910 weckte ein durchdringender Lärm den verschlafenen Ort. Seine Bewohner spürten, dass in diesem Augenblick ein schicksalhaftes Ereignis passiert war. Es war fünf Uhr morgens an besagtem Tag, ein starker Wind und schwere See schlugen gegen die Küste. Die Sirene eines großen Schiffes, der „Titlis“, riss die Anwohner aus dem Schlaf. Die Felsen des „Veril de la Brava“ rissen ihm den Bauch auf bis zu den Eingeweiden. Ein Bauer, der durch das Dröhnen der Sirene des sterbenden Schiffes alarmiert wurde, lief, nachdem er sich dem Ort genähert und gesehen hatte, was passiert war, nach Puerto de la Cruz und alarmierte die örtlichen Behörden. Sechs Männer eilten zum Ort des Geschehens, darunter der Bürgermeister, der Richter und der Polizeikommissar.

„Alle Mann anpacken“, rief Don Sebastián Castro, der die Aktion leitete, seinen Begleitern zu, als sie sich dem Wrack näherten. Die Männer sahen, dass das Schiff von Minute zu Minute zu sinken drohte, und einer der mutigsten ergriff ein Seil und kletterte von Klippe zu Klippe, bis er den Bug erreichte, wo die verzweifelte Mannschaft versammelt war.

Die „Titlis“ war ein 1904 auf der Neyland-Werft in Oslo gebauter norwegischer Schoner aus Stahl von 1407 Tonnen, einer Länge von 231 Fuß, einer Breite von 35 Fuß und einem Tiefgang von 20 Fuß. Der Dampfer hatte Bananen geladen. Er stand unter dem Kommando von Kapitän Kristian Andersen und hatte eine Besatzung von 18 Männern, von denen vier von den Wellen mitgerissen wurden, als sie versuchten, sich am Seil festzuhalten, um trockenes Land zu erreichen.
Der Frachter pendelte schon viele Jahre zwischen Teneriffa, Deutschland und England und transportierte regelmäßig landwirtschaftliche Produkte. Ob es eine Unachtsamkeit oder ein Fehler des Kapitäns war oder nicht vorhersehbare Winde und Strömungen, konnte nie geklärt werden.
Nach diesem katastrophalen Ereignis, das die Herzen aller Einwohner des Hafens berührte, organisierte das örtliche Fremdenverkehrskomitee am 15. desselben Monats eine Benefizveranstaltung zugunsten der überlebenden Seeleute und der Familien der Opfer, die im Saal des ehemaligen Nonnenklosters stattfand und ein großer Erfolg war.
Damals regierte in Norwegen König Haakon VII., er beschloss im Einvernehmen mit seiner Regierung, Medaillen und Schriftrollen zu verleihen, um die Taten der mutigen und unerschrockenen Retter zu ehren. Ohne ihr Eingreifen wäre die gesamte Besatzung des Schiffes umgekommen.


Das Wrack des Schiffes wurde später von den Wellen fortgerissen und lag viele Jahre lang auf dem Meeresgrund. Doch dann kamen neue Zeiten und ausgefeilte Techniken für die Suche in den Tiefen des Meeres. 1980 führten die Schüler der Montessori-Schule in Santa Cruz eine Reihe von Aktivitäten in Puerto de la Cruz durch, bei denen es in Zusammenarbeit mit der Tauchschule von Teneriffa, der Reederei, der norwegischen Regierung und anderen Bürgern gelang, den Propeller der „Titlis“ vom Meeresgrund zu bergen.
Am 25. Juni 1980 wurde die Schiffsschraube dem Stadtteil Punta Brava gespendet und gegenüber der Kirche Santa Rita auf einem einfachen Sockel aufgestellt, damit alle, Einheimische wie Auswärtige, nicht nur der Opfer des Schiffbruchs gedenken, sondern auch der tapferen Portuenser, die ihr Leben für andere riskierten. Hundert Jahre nach dem Unglück, am 11. Dezember 2010, wurde neben der Schiffsschraube auch eine Gedenktafel angebracht.



Die Fischer und Seeleute aus Puerto gaben dem Schiffswrack später den liebevollen Namen „Títere“, Marionette, Kasper, oder Hampelmann, weil es wie eine Marionette von den Wellen hin- und hergerissen wurde.

Heute trägt ein anderer Stückgutfrachter denselben Namen, der gelegentlich in Santa Cruz anlegt und Getreide oder Getreideprodukte transportiert. Er gehört der deutschen Reederei Friedrich & Co, wurde 2009 in den Niederlanden gebaut und nach mehreren Umbenennungen 2018 als „Titlis“ benannt.
Bilder: bernardocabo.blogspot.com und diariodelvalledelaorotava.blogspot.com
Eine ähnliche Rettungsaktion fand vor der Küste von El Sauzal statt, wo ein Flugzeug ins Meer stürzte: Für eine gute Sache ist es nie zu spät.
Artikel Nr. 23-0DB7A968
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