Warnungen und Wahrscheinlichkeiten

Regnet es heute?

Diese Frage beschäftigt uns immer wieder. Besonders im Frühjahr und im Spätherbst kann es auch auf Teneriffa mal regnen. Aber hier ist alles ein bisschen anders als in Mitteleuropa. Und jeder hat andere Sorgen, was das Wetter angeht.

Javier ist Bürgermeister und macht sich Sorgen um eine wichtige Veranstaltung im Freien. Manuel macht Badeurlaub, sucht die Sonne und sieht dunkle Wolken gar nicht gern. Roberto ist Bauer und hofft auf Regen, den seine Kartoffelfelder dringend benötigen. Wilma will wandern hat nichts gegen Schatten spendende Wolken, solange es nicht regnet.

Der spanische nationale Wetterdienst Aemet beobachtet das Wetter, erarbeitet Vorhersagen und veröffentlicht bei besonderen Wetterereignissen (FMA, fenómenos meteorológicos adversos) gegebenenfalls Warnungen. Es gibt drei Warnstufen:

gelb: Die Gefahr ist niedrig, aber Menschen und Sachen in ausgesetzten Positionen könnten leichte Schäden erleiden.
orange: Die Gefahr ist bedeutend. Menschen und Sachen in ausgesetzten Positionen können schwere Schäden erleiden.
rot: Die Gefahr ist außergewöhnlich. Menschen und Sachen können besonders schwere oder katastrophale Schäden erleiden.

Die Stufe rot kommt zum Glück nur sehr selten vor. Aber auch schon bei gelb ist Vorsicht angesagt. Für Regen, Wind, Temperatur und Wellen werden unterschiedliche Warnungen erarbeitet. Die Informationszeiträume sind.

7.30 – 9.00 Uhr: Hinweise für heute
10.30 – 11.30 Uhr: Hinweise für morgen und übermorgen
17.00 – 19.00 Uhr: Überarbeitung der Hinweise
23.50 Uhr: Vorhersage für die nächsten drei Tage

Doch hier auf den Kanaren hat es die Aemet besonders schwer. Die Inseln im Atlantik sind viel schwieriger in den Griff zu kriegen, weil sich das Wetter so schnell ändern kann. Es gibt auf dem Meer keine Wetterstationen und auf den Inseln viel weniger als auf dem Festland. Noch dazu ist es hier gebirgig, eine Vorhersage für die ganze Insel ist deshalb praktisch unmöglich. Wie man auf den Karten erkennen kann, gibt es deshalb verschiedene Zonen, in denen die Warnungen sehr unterschiedlich ausfallen können.

Javier nimmt die Warnung orange für seine Stadt im Osten der Insel ernst. Ein Markt, ein Konzert im Freien und ein Umzug sind für den Nachmittag geplant. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Warnung der Aemet genau für seine Stadt zutrifft? Am Vormittag trifft er seine Entscheidung. Alles wird abgesagt. Und was passiert? Es regnet eine Weile, kurz und kräftig, wie es hier üblich ist. Danach noch eine Weile Chipi-chipi, wie hier der feine Nieselregen heißt, und dann ist alles vorbei. Alle sind sauer auf Javier und die Aemet. Alle haben die Ereignisse vorbereitet, sind enttäuscht und haben vielleicht wirtschaftliche Verluste. Aber was wenn…? Wenn die Aemet nicht gewarnt hätte oder Javier die Warnung nicht beachtet hätte, und es wäre schlimmer gekommen?

Manuel hat die Warnung vor Wind und Wellen in Bajamar gelesen. Aber er liebt die kräftige Brandung, Baden im Pool ist langweilig. Warm genug ist es auch, und im Urlaub will er jeden Tag schwimmen, am besten an einem Naturstrand oder in einem der tollen Meeressschwimmbecken. Es ist ja ziemlich unwahrscheinlich, dass genau Manuel etwas passiert. Trotz roter Flagge geht sie ins Wasser. Doch das kann gefährlich werden.

2024 sind 72 Personen an den kanarischen Küsten ertrunken (19 davon auf Teneriffa), 5 weitere wurden nie wieder gefunden, 2023 waren es 71. Hinzu kommen mehr als hundert, die noch gerettet werden konnten. Die Statistik macht es klar: Rund zwei Drittel der Ertrunkenen waren Ausländer. 79% waren Männer. 67% waren Schwimmer. Es gibt mehr Tote durch Ertrinken als durch Verkehrsunfälle.

Welche Gewalt die Wellen haben können, zeigt dieser Felsbrocken von der Größe eines Autos, der in Garachico nach einem Sturm auf der Straße lag.

Roberto schaut in Icod El Alto gespannt zum Himmel. Endlich soll es regnen. Seine Kartoffeln brauchen dringend Wasser, sonst kann er die Ernte für dieses Jahr vergessen. Künstliche Bewässerung kann er sich über einen längeren Zeitraum nicht leisten. Ja, die Vorhersage der Aemet war richtig. Es regnet, und es regnet schön gleichmäßig. Der Regen spült auch die übermäßigen Salze aus dem Boden. Roberto ist zufrieden. Aber woanders kam der Regen leider zu schnell und zu viel in kurzer Zeit. 40 Liter pro Quadratmeter in einer halben Stunde, dann ist der Spuk vorbei. Und in Vilaflor kam so gut wie nichts vom Himmel, die Weinreben vertrocknen dieses Jahr.

Das viele Wasser bleibt meist nicht auf dem Feld, es rauscht über die Wege und Straßen hinunter. In den Dörfern gibt es keine Kanalisation, Straßen werden zu reißenden Bächen, Treppen zu Wasserfällen, Müllcontainer zu tödlichen Geschossen. In den Barrancos, die Jahre lang kein Wasser gesehen haben wird alles mitgerissen, Steine, Wildwuchs und Müll. Längst hätte die Gemeinde die Schlucht säubern müssen, aber das wurde versäumt. Wir können uns nur schwer vorstellen wie das fließende Wasser in hunderttausenden von Jahren solche Schluchten geschaffen hat, wie z.B. den Barranco Ruiz in Los Realejos.

Wilma wohnt in Puerto Santiago, sie will wandern und schaut auf ihre Wetter-App. Sie meldet ihr eine Regenwahrscheinlichkeit am 6. März für Teneriffa von 75%. Wilma bleibt im Hotel und ärgert sich abends. Den ganzen Tag war der Himmel blau und kein Tropfen kam herunter. Wilma hat die Wahrscheinlichkeit falsch interpretiert.

75% bedeutet nicht, dass es an diesem Tag 18 Stunden lang regnet. 75% bedeutet auch nicht, dass es auf drei Viertel der Inselfläche regnet. Die Regenwahrscheinlichkeit, genauer eigentlich Niederschlagswahrscheinlichkeit, wird berechnet. Das Vorhersagemodell nimmt dazu die allgemeine Großwetterlage in dem gefragten Raum und untersucht, wie oft es bei vergleichbaren Situationen an diesem Tag in der Vergangenheit irgendwann einmal geregnet hat. Dabei kommen dann die Prozentwerte heraus. Sie sagen aber nichts darüber aus, wie lange es geregnet hat, wie viel, wie oft und wo genau. Und schon gar nicht sagen sie etwas über die Zukunft aus.

Bei der Frage wo es regnet kommt noch das Problem der hiesigen Kleinräumigkeit dazu. In Tacoronte kann es schütten wie aus Kübeln, und im 5 km entfernten El Sauzal bleibt alles trocken.

Als am 25. November 2022 der Sturm „Hermine“ vorbeizog, fielen im Tal von Güímar 120 Liter pro Quadratmeter, an der Küste im Norden aber so gut wie nichts.

Wilma versucht am nächsten Tag ihr Glück mit zwei verschiedenen Apps und bekommt zwei ganz verschiedene Aussagen. Denn die Apps benützen in der Regel verschiedene Vorhersagemodelle. Die einfacheren basieren auf einem großräumigen Netz von Messwerten und berechnen die Daten dazwischen mittels Interpolation. Je feiner das Datennetz ist und je mehr Berechnungen angestellt werden, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Vorhersage zutrifft. Aber ein erhöhter Rechenaufwand ist kompliziert und teuer, und nicht alle Apps nutzen die teureren Verfahren. Dieser Vergleich für denselben Ort und dieselben Tage zeigt, in der roten Zeile, wie unterschiedlich die Rechenmodelle bezüglich des Niederschlags sein können. Auch bei den Temperaturen gibt es deutliche Unterschiede.

Ein sehr genaues Rechenmodell stellt das ECMWF (European Centre for Medium-Range Weather Forecast) zur Verfügung, es ist jedoch von kommerzieller Art und wird deshalb nur von wenigen Wetter-Apps verwendet. Es hat eine Berechnungs-Auflösung von nur 9km und sagt Regen recht zuverlässig voraus. Die meisten Apps nutzen das kostenfreie, amerikanische GFS-Modell (Global Forecast System) mit einer Auflösung von 22km, das aber gerade in gebirgigen Gegenden oft versagt und Wolken und Niederschlag nur ungenau vorhersagt. Für Gebirge ist das Schweizer Modell Meteoblue unschlagbar was Temperaturen und Wind angeht. Das Deutsche System ICON vom DWD liefert ebenfalls gute Resultate ist aber im Prinzip nicht für Inseln im Atlantik konzipiert.

Welche App nun welches Modell verwendet, ist schwer festzustellen. Ziemlich zuverlässig funktioniert die hier bekannte Vorhersage „Teide con sombrero, lluvias y aguacero“ (Teide mit Hut, Regen und Wolkenbruch). Dieses meteorologische Phänomen bezeichnet Wolken vom Typ lenticularis (linsenförmige), es sind Überströmungswolken, die bei großen Einzelbergen dann vorkommen, wenn in der Höhe kalte Luft mit hoher Feuchtigkeit heranzieht, welche dann am Berg zu einer Wolke kondensiert, diese löst sich auf der anderen Seite schnell wieder auf. Schon zwei Tage vorher weiß man dann, dass ein Wetterumschwung bevorsteht.

Warum man auf eine Regenwahrscheinlichkeit nicht hereinfallen sollte, wird klar, wenn man die besondere Situation der Inseln betrachtet. Gerade im Frühjahr und Herbst ergeben sich oft kritische Wettersituationen.

Im März hat sich die planetarische Tiefdruckzone weit nach Süden verlagert, die Sturmtiefs toben sich nicht nur über Schottland aus, sondern erreichen auch Spanien und Südeuropa. Mitunter kommt es vor, dass sich ein Tiefdruckgebiet von diesem Bereich abspaltet und als isoliertes Tief noch weiter nach Süden zieht, in Richtung auf die Kanaren. Hier spricht man dann von einer DANA (Depresión aislada en niveles altos), einem isolierten Höhentief. Es bringt mit niedrigem Luftdruck feuchte und kalte Luft aus dem Norden. Gleichzeitig rückt aber der Zenitalstand der Sonne vom Äquator schon weiter nach Norden vor. Die Sonne entwickelt mehr Kraft und Wärme.

Beides führt zu einem gefährlichen Energiemix. Die erwärmte Luft steigt auf und trifft in der Höhe auf die kalten Luftmassen der DANA. Es bilden sich enorme Quellwolken, die durch das wechselhafte Relief lokal sehr unterschiedlich ausfallen können. Auf der einen Seite der Insel fallen enorme Regenmassen, woanders ist blauer Himmel. Nicht selten bedeckt sich der Teide im April noch einmal mit einem weißen Mantel, und die Schneefallgrenze kann auf unter 2000 m sinken.

Ganz anders ist die Lage im Oktober und November. Im Laufe des Sommers hat sich die Meerwassertemperatur am Äquator stark erhöht. Dort bilden sich tropische Tiefdruckgebiete, die in der Regel nach Nordwesten ziehen und sich unterwegs zu Tropenstürmen und Hurrikanen verstärken. Dann sind besonders die Karibik und die südliche USA gefährdet. Aber der Verlauf ist durch den Zufall bestimmt, und manchmal kann ein solcher Tropensturm auch nach Nordosten ziehen. Dann erwischt er mit seinen Ausläufern auch die Kanaren. Er bringt immer viel warme Luft und besonders viel Feuchtigkeit mit. Schlimm wird es, wenn er direkt über die Inseln zieht.

Beispiele gibt es viele. Am 28. November 2005 kam der Hurrikan Delta an Teneriffa vorbei mit Windgeschwindigkeiten von 140 km/h an der Küste und über 200 km/h in den Bergen. Viele Wälder wurden zerstört und Santa Cruz überschwemmt, eine Woche lang gab es keine Strom.

Am 19. Oktober 2014 wurde Santa Cruz erneut von riesigen Wassermengen überschwemmt. Lies dazu den extra Artikel Stadt unter Wasser. Am 16. November 2009 traf es das Orotavatal. Im Barranco San Felipe, der an der Playa Jardin mündet, wurden Autos bis ins Meer gespült.

Die größte Sintflut aller Zeiten brach zwischen dem 6. und 9. November 1826 über Teneriffa herein. Warnungen und Apps gab es damals noch nicht, alles kam unvorbereitet. Es war Der Tag, an dem die Jungfrau verschwand. Die Katastrophe zerstörte weite Teile der landwirtschaftlichen Nutzfläche, löste eine große Hungersnot aus und führte in der Folge zu einer allgemeinen Auswanderungswelle.

Gegenüber solchen Katastrophen klingt das Absagen eines Karnevalsumzugs eher harmlos. Aber was wäre, wenn nicht…?

Schau auch auf der Seite Wetter und Klima nach, dort gibt es noch mehr Informationen.



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