Wo ist das Original?

Wann sie genau auftauchte, ist nicht ganz klar. Es muss wohl um das Jahr 1400 gewesen sein, als angeblich zwei Ziegenhirten die hölzerne Statue einer Frau fanden. Woher sie kam, ist auch nicht bekannt, vielleicht ist sie von einem vorbeifahrendes Schiff ins Meer gefallen. Über die heutige Schutzpatronin der Kanaren, der Jungfrau von Candelaria, gibt es jedenfalls eine Menge Geschichten.

Angeblich soll die ursprüngliche Statue auch vergoldet gewesen sein, was gegen die Theorie spricht, sie sei im Meer geschwommen. Vielleicht wurde sie auch von Missionaren nach Teneriffa gebracht. Die bekannte Legende erzählt jedenfalls, dass die beiden Guanchen eine Frau auf einem Felsen am Strand von Chimisay sahen. Damals durften Männer außerhalb des Dorfes nicht mit Frauen sprechen, und einer der beiden winkte mit dem Arm, damit sie weggehe, aber sein Arm wurde sofort steif. Der andere näherte sich ihr mit seinem Messer und wurde selbst geschnitten. Obwohl die Frau aus Holz war. Schockiert liefen sie zu ihrem Häuptling Acaymo, dieser verstand, dass eine Frau mit einem Kind im Arm etwas übernatürliches war, rief viele Männer zur Hilfe auf (deshalb heißt der Strand dort heute El Socorro) und ließ sie in seine Höhle namens Chinguaro transportieren. Dort brannte ein Feuer, und mit der Zeit wurde die Figur dunkel vom Ruß. Deshalb heißt sie heute auch „La Morenita“ und wird mit braunem Gesicht dargestellt, auf manchen Bilden ist sie sogar eine „schwarze Madonna“. Für die Guanchen jedenfalls war sie die Verkörperung von Chaxiraxi, der Muttergöttin, und passte gut in ihre Glaubenswelt.







Am Strand von Chimisay erinnert heute ein schlichtes Holzkreuz an den Fund der Madonna. Die ehemalige Höhle wurde in eine Gedenkstätte umgebaut. Jedes Jahr am 7. September wird das Bildnis der Jungfrau von der Kirche San Pedro hinunter getragen in den kleinen Ort El Socorro, begleitet von zigtausend Menschen. Es ist die älteste Prozession der Insel. Doch der 7. September ist nicht der Tag, um den es hier geht.
Ein anderer, bereits christianisierter Guanche, den sie Anton nannten, erkannte in dem Bildnis die Mutter Maria und überzeugte seinen Mencey, sie in die Höhle Achbinico zu bringen um sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Diese Höhle wurde dann später nach San Blas benannt und liegt an einem Felsen gleich hinter der heutigen Wallfahrtskirche. Dort steht heute eine schlichte, in den Fels hinein gebaute Kapelle. Manche Gläubige legen unter dem Felsüberhang auch Blumen ab und stellen Kerzen auf. Irgendwo dort feierte der Eroberer Fernandez de Lugo am 2. Februar 1497 das rituelle Reinigungsfest der Jungfrau mit vielen Kerzen, die „fiesta de las candelas“. Vielleicht wurde ihr Gesicht auch deswegen schwarz. Aber sicher hat Candelaria daher seinen Namen bekommen, und der 2. Februar ist der wichtigste Feiertag in dieser Stadt.
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Nicht nur hier, sondern in vielen Orten der katholischen Welt werden an diesem Tag Kerzen und Feuer entzündet. Angeblich sollen die beiden Hirten die Statue am 2. Februar gefunden haben, aber das war rund hundert Jahre früher, und ist unklar. Dieser Tag ist in vielen Gegenden Europas auch als Maria Lichtmess bekannt, aber die Tradition gab es schon lange davor bei den Römern. An diesem Tag wird die Jungfrau nach der Messe einmal um den Platz geführt, die Kerzenprozession findet meist ein oder zwei Tage davor statt.



Die Stadt Candelaria feiert noch an einem zweiten Tag im Jahr, nämlich am 15. August. Dann ist das Fest der Maria Himmelfahrt, zu dem aus allen Teilen der Insel 100 000 Menschen pilgern. Moderne Guanchen begleiten dann die Jungfrau durch die Stadt. Beide Tage sind heute Feiertage, aber nicht die, um die es hier geht.
Am 15. Februar 1789 brach ein Brand in der Kirche aus, aber die Jungfrau konnte gerettet werden. Schon 1705, nach den Vulkanausbruch von Arafo, ausgerechnet am 2. Februar (siehe: Asche, Stein und Muskelkater), brachte man sie aus Sicherheitsgründen für ein paar Monate nach La Laguna.
Der Tag, an dem die Jungfrau verschwand, war ein ganz anderer. Es war der schwärzeste Tag in der bekannten Geschichte Teneriffas. Nach mehreren Tagen mit unerträglich schwüler Hitze brach die größte Naturkatastrophe aller Zeiten über die Insel herein. Am 7. November 1826, der noch dazu ein Dienstag war, der traditionelle Unglückstag, tobte ein fürchterlicher Sturm, der unglaubliche Überschwemmungen brachte, die der zeitgenössische Historiker Leon y Xuárez de la Guardia so zusammenfasst: „Ich sah, dass eine riesige Wassermasse auf die Erde herabfiel, neue Schluchten öffnete, und solche die noch nicht einmal 20 Faden (1 Faden = 1,7m) Breite zählten, bis zu 600 Faden verbreiterte, die kräftigsten Bäume abriss, Schiffe zum Kentern brachte, Häuser versenkte und die Bewohner und das Vieh ins Meer spülte.“ Im Tal von La Orotava entstanden 12 neue Schluchten, der Barranco San Felipe in Puerto de la Cruz wurde 413m breit. Es regnete noch einen ganzen Tag lang weiter, erst am Morgen des 9. November konnte die Menschen ihre Häuser wieder verlassen.
(Bild: *2)
Den Norden der Insel zwischen Icod und Santa Úrsula traf es besonders schlimm. Dort zählte man 255 Tote, 311 zerstörte Häuser und über 1000 tote Tiere. In einigen Gegenden waren 30% der Anbaufläche vom Sturm zerstört, der 12 Stunden dauerte.
(Bild: *2)

An einer Hauswand in San Juan de la Rambla (siehe: 500 Jahre Geschichte) findet man heute noch die in den Stein gehauene Inschrift: „Am traurigen 7. November 1826 nahm die Schlucht diese Ecke mit, sie wurde im Dezember neu erbaut.“
Insgesamt sind wohl über 300 Menschen ums Leben gekommen und 600 Häuser zerstört worden, denn auch die andere Seite der Insel blieb nicht verschont. Bei Güímar wuchsen die Wassermassen aus dem Barranco de Badajoz auf eine Breite von 1,4km an, das gesamte Tal von Güímar war mit Schlamm bedeckt.
In diesen zwei Videos wird die Katastrophe erzählt und mit Filmaufnahmen nachgestellt:
Candelaria war damals ein kleines Fischerdorf, in dessen Leben sich viel um die Anwesenheit der Jungfrau drehte. In einem Plan von 1741 sind ein Handvoll Häuser und die wichtigsten Gebäude zu sehen: die Kirche der Jungfrau und das Kloster (C), davor die Festung San Pedro (A) und das Haus des Kastilians (B), sowie die Höhle von San Blas (D). Der Grund für ein solches Kastell in Candelaria hatte wohl mehr mit der Notwendigkeit zu tun, den von der Jungfrau durch die Spenden ihrer Gläubigen angesammelten Reichtum vor Piratenangriffen zu schützen als mit strategischen Bedürfnissen. Am Rand des Dorfes sieht man auf der Zeichnung auch noch ein kleines Flussbett.


In diesem flachen Barranco de Tapia lagen nach dem Sturm vom 7. November 1826 viele umgestürzte Bäume und entwurzelte Feigenkakteen, die eine natürliche Barriere bildeten, hinter der sich das Wasser staute. Als dieser Damm brach, traten die Wassermassen mit Macht über die Ufer und verwüsteten das Dorf, rissen die Burg ins Meer und zerstörten das Kloster und die Kirche.
(Bild: *1)
Ein paar versunkene Überreste wurden bei archäologischen Untersuchungen im Meer gefunden. Da die halbfertige Wallfahrtskirche, deren Weiterbau aus finanziellen Gründen seit 1818 ruhte und deshalb noch keine Türen und Fenster hatte, nahm das Unwetter auch einen wertvollen Schatz mit, nämlich die Statue der Jungfrau von Candelaria, auch sie verschwand im Meer. Man suchte sie danach Tage lang, aber erfolglos. Dann ist also das Bildnis der Jungfrau von Candelaria, die heute verehrt wird, nicht dasselbe, das laut Überlieferung die Guanchen fanden. Aber, wie sah sie wirklich aus, die verschwundene Jungfrau?
Pater Alonso de Espinosa beschreibt sie in seiner „Geschichte der Muttergottes von Candelaria“ als etwa fünf Handspannen groß, mit einem etwas langen Gesicht mit großen, schrägen Augen, etwas braun „mit sehr schönen Rosen auf den Wangen“, ohne Kopfbedeckung und blondes Haar. Sie trägt das Kind in ihrem rechten Arm und eine grüne Kerze in ihrer linken Hand. Diese Beschreibung entspricht den Bildern, die wir heute noch in den Gemälden der Basilika sehen können, wo sowohl die Figur als auch die Kleidung dieser Beschreibung entspricht.

Nach dem Verlust der Jungfrau versuchten die dominikanischen Brüder des Klosters, einige der vielen Kopien zu bekommen, um sie zu ersetzen. Aber das war unmöglich, und so wurde der Bildhauer Fernando Estévez aus La Orotava beauftragt, eine neue Statue zu fertigen, nämlich die, die heute verehrt wird. Er schnitzte aber keinen massiven Körper, sondern machte nur ein einfaches Lattengestell, das aufwändig mit vielen Stoffen bekleidet wurde, so merkte es niemand. Nur das Gesicht und das Kind waren aus Holz geschnitzt. Erst viel später, nämlich 1972, bekam sie dann einen „richtigen“ Körper. Ja,… und die alte, ist sie wirklich für immer verschwunden?

Kopien gibt es viele, in der ganzen Welt. Man glaubt, dass eine Statue in der Ermita de las Angustias in Icod eine dieser wertvollen Kopien ist. (Eine Geschichte dazu gibt es hier: Der Teufel und die Teufelin) Auch in der Kirche Santa Úrsula von Adeje befindet sich ein Bildnis, das genau auf die Beschreibung von Espinosa passt und von dem immer angenommen wurde, dass es sich um eine Kopie aus dem 16. Jahrhundert handelt. Aber nach einer 1999 durchgeführten Datierung mit der C-14 Methode sollte diese Statue von Adeje aus dem 15. Jahrhundert stammen. Das könnte bedeuten, dass sich das Original der Guanchen heute in Adeje befindet. Wie kann das möglich sein?
Dazu muss man wissen, dass die Markgrafen von Adeje und die Grafen von La Gomera die Verwalter der Jungfrau von Candelaria waren und ein Haus auf dem Weg zur Höhle von San Blas hatten. Sie hätten durchaus die Möglichkeit gehabt, die Jungfrau heimlich mitzunehmen und sie durch eine Kopie zu ersetzen. Dann wäre die Jungfrau schon an einem Tag lange vor der Wetterkatastrophe verschwunden, ein wahrhaftiger Diebstahl in der Kirchengeschichte. Die Gemeinde von Santa Úrsula in Adeje würde sie jedenfalls bestimmt nicht mehr hergeben. Denn dort wird sie jedes Jahr im Januar in einer großen Prozession zur Kapelle und wieder zurück zur Kirche getragen.
Auf dem Prozessionsweg der Jungfrau in Adeje kannst du spazieren gehen, lies dazu diesen Artikel: Auf Fels und Pflasterstein.

Warum gibt es in einer kleinen Nische an Socorro-Strand ein Gedenkbild aus Kacheln, auf dem man unten die Aufschrift Adeje – Güímar lesen kann? Und wer wollte und könnte den Kriminalfall nach Jahrhunderten noch aufklären?
Doch sicher ist der 7. November 1826 der Tag, an dem die Jungfrau ins Meer gerissen wurde.
Hier ist ein anderer interessanter Artikel über „Die schwarze Jungfrau und die Guanchen“: https://artlandyablog.wordpress.com/2017/02/02/die-schwarze-jungfrau-und-die-guanchen/

Interessant ist außerdem noch die Tatsache, dass in der kubanischen Santería die Göttin Oyá mit der Jungfrau von Candelaria synchretisiert wird. Ihr Festtag ist ebenfalls der 2. Februar. Die Yoruba haben ihre Religion aus Nigeria mitgenommen nach Kuba, dort spielt sie eine große Rolle in der Reihe der Orishas und ist als Göttin der Blitze, der Unwetter und starken Winde bekannt. Sie ist eine kräftige und leidenschaftliche Frau. Außerdem wacht sie über das Tor zum Friedhof. Jekua Jey Yansá! Epaieio Oyá!
Bilder: *1: loquelaspiedrascuentan.blogspot.com, *2: http://www.volcaneshistoricos.com/el-aluvion-de-tenerife-en-1826/
Über die Katastrophe von 1826 gibt es eine ausführliche Dokumentation von J.F. Bethencourt, P.Dorta und C.Criado:
https://www.researchgate.net/publication/344157112_EL_TEMPORAL_DE_1826_RECONSTRUCCION_DE_SUS_CAUSAS_Y_SUS_CONSECUENCIAS_EN_LA_ISLA_DE_TENERIFE
Auf dieser Wanderung von Candelaria nach El Puertito kommst du durch El Socorro und das Naturschutzgebiet Malpaís de Güimar: Schwarze Küste. In historischer Zeit gab es vielleicht wirklich einmal eine Marienerscheinung, nämlich im Jahr 1992. Lies hier die geheimnisvolle Geschichte dazu: Maria und die Außerirdische.
Mehr über berühmte Menschen aus Teneriffa findest du auf der Seite PERSÖNLICHES.
Artikel-Nr. 6-2-155
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