Die alte Straßenbahn Teneriffas.

Teneriffa verfügt seit der Wiederherstellung der Straßenbahn über eines der besten und effizientesten Beispiele für die nachhaltige und sichere Mobilität seiner Bürger. Es ist vielleicht weniger bekannt, dass es auf dieser Insel schon in der Vergangenheit eine Straßenbahnlinie gab, die weitgehend der direkte Vorläufer der heutigen war, da sie auch Santa Cruz mit La Laguna verband, und später sogar bis Tacoronte verlängert wurde.
Heute sind zwei Linien in Betrieb, eine verbindet Santa Cruz mit dem Zentrum von La Laguna auf einer Strecke von mehr als zwölf Kilometern, die durch ihre steilen Rampen und Hänge gekennzeichnet ist, und die andere von 2,6 Kilometern zwischen La Cuesta und Tincer. Doch hier schauen wir uns die Geschichte der „alten“ Bahn an.

Wie in vielen anderen Fällen in Spanien, ging die alte Straßenbahn von Teneriffa auf die Investition von belgischen Unternehmern zurück. Sie waren in einem großen Teil von Europa und der Welt die Wegbereiter bei der Einführung dieses modernen Verkehrsmittels. Der Bau der Linie selbst, die von der Regierung am 12. November 1898 genehmigt wurde, wurde zwar von dem valencianischen Ingenieur Julio Cervera entworfen, die Konzession für ihre Nutzung ging aber am 4. Juli 1899 dann den belgischen Bürger Aleixes de Reus. Kurz darauf, am 28. September desselben Jahres, wurde in Brüssel die Societé Anonyme des Tramways Électriques de Tenerife gegründet.

Dank der belgischen finanziellen Unterstützung begannen die Bauarbeiten auf der Strecke nach der Grundsteinlegung am 30. Oktober 1899. „Die Straßenbahn, der ich so viel Mühe gewidmet habe, wird die sichere Basis für Reichtum und Wohlstand für ganz Teneriffa sein,“ sagte der Abgeordnete Teneriffas in Madrid, Imeldo Serís-Granier y Blanco, Herzog von Villasegura, bei der Feier. So sehr hatte er sich für die Einführung der Straßenbahn eingesetzt, dass man seine Bahn später auch „tranvía Villasegura“ nannte. Am 7. April 1901 wurde die neue Straßenbahn zwischen Teneriffa und La Laguna in Betrieb genommen. Die Depots wurden in La Cuesta errichtet, wo sich auch das Kraftwerk zur Stromerzeugung befand, denn man darf nicht vergessen, dass es zu Beginn des Jahrhunderts noch kein öffentliches Stromnetz gab, und sich die Straßenbahn von Teneriffa, wie die meisten spanischen Straßenbahnen jener Zeit, eine eigene Stromversorgung aufbauen musste. Der 38 m hohe Kamin dieses Kohlekraftwerks steht heute noch in La Cuesta an der Plaza del Tranvía, sein Rauch war von Santa Cruz aus gut zu sehen. Die Öfen für das Kraftwerk kamen aus Antwerpen und wurden vom Hafen auf den verlegten Schienen, aber noch mit einem Gespann aus 14 Ochsen bis hinauf nach La Cuesta transportiert.


Die Straßenbahn war vom ersten Moment an in den Bevölkerung beliebt, was die Konzessionsgesellschaft veranlasste, die Verlängerung der Strecke nach Tacoronte vorzunehmen, ein Projekt, das bereits im Dezember 1900 geprüft worden war und dessen Konzession am 18. April 1904 von der Regierung genehmigt wurde. Der Bau der neuen Infrastruktur kam schnell voran, schon am 27. Juli desselben Jahres konnte die Einweihung der Erweiterung gefeiert werden. Der Ausbau bis La Orotava war geplant, wurde aber nie realisiert.

Die Bahn fuhr 16 mal am Tag von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends, einmal pro Stunde von Santa Cruz ohne Umsteigen bis nach Tacoronte. Um 8 Uhr, 9 Uhr und 10 Uhr abends gab es noch extra Wagen nach La Laguna.





Zwischen Santa Cruz und La Laguna gab es 29 Haltestellen. Die Fahrt dauerte 45 Minuten, es gab Einzelfahrkarten in verschiedenen Farben und auch Mehrfahrtenkarten und Monatsabonnements. Jeder Passagier durfte 15kg an Gepäck mitnehmen. Zeitweise waren die Wagen rappelvoll. Die Stadt musste Hinweise in der Zeitung veröffentlichen und an wichtigen Plätzen aushängen, denn die Menschen hingen sich an die Handgriffe oder setzten sich auf die Puffer zwischen den Wagen. „Lleno hasta los topes“ ist heute noch ein feststehender Ausdruck in spanischen, wenn etwas total überfüllt ist (el tope = der Puffer).
Die Straßenbahn von Teneriffa beschränkte sich nicht nur auf den Personentransport, sondern verfügte auch über eine Zweiglinie, die mit dem Hafen von Santa Cruz verbunden war. So konnten Waren, die auf dem Seeweg ankamen, ins Innere der Insel verteilt werden, oder umgekehrt. Um diese Dienstleistungen erbringen zu können, erwarb das belgische Unternehmen von der Firma ACEC aus Charleroi zwölf Wagen für den Personenverkehr und weitere fünf für den Güterverkehr sowie vier Anhänger für Personen und sechzehn für den Warentransport.


Die Wagen waren blau und weiß gestrichen, Nummer 7 und 8 fuhren mit Anhänger. Nummer 15 und 16 zogen die „Jardinera“, das war ein offener Anhänger, grau, mit qualitativ minderwertigen Sitzen und großen Fenstern, um die Gerüche zu vermeiden, die von den Produkten kamen, die die Bauern zum Verkauf nach Santa Cruz brachten (Milch, Kartoffeln, Eier, Kartoffeln, Ziegen und Hühner) und mit Behältern voller Schweinefutter zurückkehrten – Reste der Lebensmittel, die sie bei ihren Kunden gesammelt hatten. Vor der Einführung der „Jardineras“ gab es für wohlhabende Fahrgäste einen Schutzanzug, um Flecken und Schmutz auf den Kleidern zu vermeiden.



Obwohl ein großer Teil der Beförderungsnachfrage im Norden der Insel Teneriffa gedeckt wurde, reichten die Einnahmen aus Personen und Gütern nicht aus, um die Rentabilität des Dienstes zu gewährleisten, und in den 1920er Jahren beschloss das belgische Unternehmen, seine Konzessionen an die örtlichen Behörden zu verkaufen. So erwarb der Cabildo de Tenerife am 9. April 1927 von der Societé Anonyme die Konzessionen und Einrichtungen der Straßenbahn für einen Betrag von 1,1 Millionen Pesetas.
Nach dem Erwerb der Strecke führte der Cabildo verschiedene Modernisierungs- und Verbesserungsprojekte durch, wie z.B. die Teilrenovierung der Strecke, verschiedene Reformen im Kraftwerk, den Kauf von zwei modernen, von Siemens gelieferten Straßenbahnen und den Umbau einiger alter Wagen. Leider war die Modernisierung nicht so vollständig, wie sie sein musste. Infolgedessen konnte die Straßenbahn mit den neuen Verkehrsmitteln, die sich zu dieser Zeit zu entwickeln begannen, bald nicht mehr konkurrieren: dem Auto, dem Lastwagen und dem Bus. Schon vor Ausbruch des Bürgerkriegs wurden erste Vorschläge für den Ersatz von Straßenbahnen durch Obusse unterbreitet, doch der politische Konflikt behinderte diese Projekte.
Nach dem Krieg wurde die Straßenbahn stark überbeansprucht, da es keine anderen Transportalternativen gab. Eine Erneuerung war jedoch aus finanziellen Gründen nicht möglich, so dass sich der Service schnell verschlechterte und sich Unfälle häuften.

Die Geschichte erzählt auch von einem besonderen Vorfall am 1. September 1934. Der Fahrer des Wagens Nr. 15 bemerkte Steine und Stöcke auf den Gleisen und führte eine Notbremsung durch. Es war der letzte Wagen von La Laguna nach Santa Cruz, und es war schon dunkel. Sofort sprangen fünf bewaffnete und maskierte Männer herbei und zwangen den Schaffner, das Geld herauszugeben. Sie erbeuteten 602,65 Pesetas (3,56 €). Überraschenderweise näherte sich dann der Wagen Nummer 13, der Verspätung hatte. Die Männer hatten schon die Masken abgenommen und gerieten in Panik, denn ein Fahrgast, ein Student, hatte sie erkannt. Sie eröffneten das Feuer, dabei starb der Student und der Fahrer der Nummer 13.
Die Toten wurden in einem großen Akt schon am nächsten Tag beerdigt, weil es damals keine Kühlmöglichkeiten für Leichen gab. Die Angreifer konnten bald darauf gefasst werden, vier davon wurden zu 30 Jahren schwerer Haft verurteilt. Die Angehörigen der beiden Toten wurden großzügig entschädigt mit jeweils 15 000 Pesetas (90,15 €), auch die Verletzten bekamen Abfindungen.

Zu einem folgenschweren Unfall kam es am 15. September 1953. Auch hier traf es den letzten Wagen von La Laguna nach Santa Cruz, mit der Nummer 16, der gegen 22.30 Uhr in einer Kurve aus den Schienen sprang. Die Ursachen waren offenbar Ruß und Öl auf den Schienen, dadurch arbeiteten die Bremsen nicht mehr richtig und die Bahn wurde auf der abschüssigen Strecke immer schneller. Zwei Polizisten hängten sich an den Wagen, aber ihre Kraft war nicht ausreichend. Der Schaffner wollte die Fahrgäste noch beruhigen, denn der Stromabnehmer sprang aus der Leitung und es wurde dunkel. Der Fahrer versuchte verzweifelt zu bremsen, aber es war zu spät. Der Schaffner konnte gerade noch rechtzeitig abspringen, dann hob sich der hintere Teil des Wagens aus den Schienen, er überschlug sich und landete mit den Rädern nach oben auf dem tiefer gelegenen Gelände neben der Straße. Die meisten der Fahrgäste konnten leicht verletzt durch die Fenster herausklettern, ein junger Man und eine Frau wurden schwerer verletzt. Der 46-jährige Fahrer kam bei dem Unfall ums Leben.
Dies war ein schwerer Rückschlag für das moderne Transportmittel Straßenbahn. Durch den zunehmenden Autoverkehr kam noch mehr Öl und Dreck auf die Schienen, die Geschwindigkeit musste reduziert werden und Behinderungen nahmen zu.
Am 14. November 1956 kam es zu einem weiteren schweren Unfall, als beim Wagen Nr. 1 die Bremsen versagten. Er fuhr gegen eine Mauer, es gab einen Toten und mehrere Schwerverletzte. Am Tag danach verfügte der Präsident des Cabildo die zunächst vorläufige Aussetzung des Dienstes, die aber nach der Genehmigung der Zentralregierung, die Straßenbahn durch Busse, die beliebten Guaguas, zu ersetzen, am 26. Februar 1959 endgültig wurde.


In den folgenden Jahren begann die Liquidation des Vermögens der Gesellschaft. Mit den 6 Millionen Pesetas, die aus der Versteigerung der Materialien stammten, wurde der Straßenbelag nach dem Entfernen der Gleise ersetzt.
Im Dezember 1967 erhielt der Pfarrer von La Concepción in La Laguna den letzten Rechnung für die Vermietung der Endstation neben der Pfarrei. Die Glocke des Hauptbahnhofs wurde der Kirche von La Candelaria in La Cuesta übergeben. Das 5.300 m² große Grundstück am Bahnhof La Cuesta wurde 1971 vom Cabildo an die Stadt La Laguna zurückgegeben.

Der endgültig letzte Wagen wurde ebenfalls im Jahr 1967 von den Wagenhallen an einen anderen Ort verfrachtet. Man hievte ihn mit einem Kran auf einen Lastwagen und musste erst die Motoren ausbauen, weil es sonst zu schwer gewesen wäre. Der Transport fuhr durch La Laguna zu einem Gelände an der Straße nach Tejina. Obwohl die Arbeiter dort viele Steine rein geworfen hatten, blieb der Laster im Dreck stecken. Eigentlich wollte man ihn in Puerto de la Cruz auf der Avenida Colón aufstellen, aber vom Bürgermeister in Puerto kam keine Antwort. Auch in Santa Cruz auf der Avenida Anaga wollte man ihn nicht haben. Es gab damals einfach kein Verständnis und keine Unterstützung für den Schutz dieses „Kulturguts“.
Der „Tranvía Club 8“ war sehr bekannt für sein einzigartiges Angebot. In dem alten Waggon wurde eine Bar aufgemacht, es wurden dort Getränke angeboten. Die teuerste Flasche Cognac ging für 35 Pesetas über den Tresen. Manche Gäste schauten täglich vorbei, andere beschwerten sich, dass es etwas eng sei im „Salon“. Später wurde der Wagen nach El Sauzal verfrachtet und restauriert. Er kam dann nach Las Galletas in das Feriendorf TenBel (siehe Artikel Tschernobyl) und wurde wieder als Pub genutzt, den sie „El Wagon“ nannten. 1976 gab es einen Brand, was das endgültige Aus für den letzten Wagen bedeutete, der auf dem Schrottplatz landete.


Viel ist heute nicht mehr zu sehen von der alten Straßenbahn, deren Geschichte vor 120 Jahren begann.





An einigen Häusern in Santa Cruz und La Laguna kann man noch die Befestigungen für die Querseile der Oberleitung entdecken. Der Kamin des einstigen Kraftwerks der Straßenbahngesellschaft steht noch in La Cuesta an der Plaza Tranvía, nicht weit von der heutigen Endhaltestelle der Linie 2. Dort hat man zur Erinnerung an der Wand des Bügerzentrums eine Informationstafel angebracht. Die Wagenhallen und Werkstätten sind aber komplett verschwunden. An der Endstation in Tacoronte steht heute ein modernes Mehrzweckgebäude mit dem Namen „La Estación“, das aber seit langem ungenutzt ist.







Erst ab 2007 ist der öffentliche Nahverkehr wieder auf die Schiene gekommen.


Auf den beiden Bildern überquert die Bahn die Puente Zurita. Die Karte zeigt den Vergleich zwischen damaliger Streckenführung (rot) und dem heutigen Verlauf der beiden Linien (blau).

Heute ist die Straßenbahn ein bisschen farbiger, ein bisschen länger, schneller, sicherer, und sie fährt häufiger. Ein Ausbau des Netzes wäre dringend nötig, scheitert aber an an allerlei Hürden. Die Verlängerung der Linie 2 um vier Haltestellen bis nach La Gallega ist in Planung, aber über die endgültige Streckenführung wird noch gestritten. Die Studien über die Verlängerung der Linie 1 bis zum Flughafen kommen nicht voran, es läuft eine Bürgerbefragung. Und eine Linie 3 durch die Innenstadt bis zu Nordhafen wird noch lange ein Traum bleiben ebenso wie die Linie 4 zum Teresitas-Strand.
Aktualisierung Juni 2020
Das Projekt zur Verlängerung der Straßenbahn bis zum Flughafen ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Weder unter den Politikern noch in der Bevölkerung konnte ein Konsens erzielt werden, zu viele der beteiligten Parteien sind dagegen. Alle drei vorgeschlagenen Streckenführungen konnten nicht akzeptiert werden. Als Folge der Gesundheitskrise gab der Inselpräsident Pedro Martín bekannt, dass die Regierung wichtigere Ziele zu verfolgen habe.
Quelle: Rafael Cedres Jorge, El antiguo tranvía de Tenerife, Santa Cruz, 2013
Warum sagt man hier eigentlich „Guagua“ statt Bus: Hier erfährst du es: Guagua.
Artkel-Nr. 0-33-154
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