Ein Großauftrag für Teneriffa

Der neue Hafen von Granadilla erlebte ein Jahrhundertereignis: Die ‚Pioneering Spirit‘ hatte angelegt. Das Arbeitsschiff, das eine Million Tonnen Nutzlast transportieren kann, blieb mehrere Monate dort um instandgesetzt zu werden.

Der Koloss der Meere kam aus der Nordsee nach Teneriffa, wo sich die Hafenbehörde freute, dass die schweizerische Reederei Allseas nun Granadilla ausgesucht hatte, um ihr Flaggschiff auf den neuesten Stand zu bringen. Das Unterwasserschiff wurde gereinigt, bekam neue Kabel und einen neuen Anstrich, und drei seiner Propeller wurden repariert. Und nicht nur dieses, denn danach sollten weitere Aufträge folgen. Für einen solchen Riesen muss der Hafen groß genug sein, ein langes Anlegedock haben und über ausreichend Lagerplatz für die Materialien verfügen. Das entscheidende Kriterium war jedoch die Tiefe des Hafenbeckens, damit die Taucher die Propeller demontieren können. All diese Voraussetzungen sind nur in Granadilla erfüllt, und Granadilla hatte das Rennen um den Großauftrag gegenüber Rotterdam gewonnen. Endlich kam Leben in den Hafen, dessen Bau lange kritisiert wurde.
(Fotos: marinetraffic.com)
So ist der Riese in den Hafen eingelaufen:
Es ist ein wahrhaftiger Koloss: Die ‚Pioneering Spirit‘ ist 477m lang und kann deshalb nur in ganz wenigen Häfen anlegen. Die Breite ist 124m, und der Tiefgang bei voller Ladung beträgt 30m. Im vorderen Teil hat das Schiff eine U-förmige Öffnung von 59m Breite und 122m Länge. Damit kann es ganze Bohrinseln in die Zange nehmen, auseinanderbauen und an einen anderen Einsatzort transportieren.
Genau dafür wurde es gebaut. Sein erster Einsatz war allerdings das Verlegen einer Pipeline von der russischen Küste durch das schwarze Meer in die Türkei. Mit Kilometer langen Stahlseilen können Rohre bis in 4000m Tiefe verlegt werden. In der Nordsee kommt die ‚Pioneering Spirit‘ zum Einsatz, wenn eine Bohrinsel transportiert werden muss. Acht gigantische Hubarme können bis zu 48 000 Tonnen schwere Gebäude fassen und hochheben. Dazu verfügt das Schiff über enorme Ballasttanks, mit denen der Tiefgang reguliert werden kann. Wie das funktioniert, sieht man in diesem Video:
Im Jahr 2004 war die ursprüngliche Idee von Allseas zunächst, zwei Tanker zu einem Katamaran zusammenzubauen, aber es gab keine geeigneten. Erst 2010 kam der Vertrag mit der südkoreanischen Daewoo-Werft zu Stande. Im November 2014 lief die ‚Pioneering Spirit‘ von Korea aus, mit dem Ziel Rotterdam, wo der Endausbau vonstatten ging. 12 Rolls-Royce Schiffsschrauben, jede mit einer Leistung von 6050 kW, bringen den Koloss auf eine maximale Geschwindigkeit von 14 Knoten (26 km/h). Das ist nicht besonders schnell, aber auf Geschwindigkeit kommt es in diesem Fall ja nicht an. Die Propeller sind horizontal drehbar, was ein Ruder überflüssig macht und für besondere Stabilität bei den Manövern sorgt, wo es auf Zentimeter ankommt.
Zuerst benannte man das Schiff als ‚Pieter Schelte‘, nach dem gleichnamigen Offshore-Pionier, und es fuhr unter panamesischer Flagge. Seit 2015 heißt es ‚Pioneering Spirit‘ und ist in Malta registriert. Es hat auch noch zwei Gehilfen. Die ‚Iron Lady‘, selbst schon 200m lang, und die ‚Bumblebee‘. Auf diese können bei zu geringer Tiefe des Hafenbeckens Bauteile umgeladen werden, und sie helfen bei komplizierten Manövern im Hafen.

„Diesen Großauftrag hätten wir ohne die Infrastruktur des Hafens Granadilla nicht bekommen“, stellte der Vorsitzende von Alphaship fest, die als Agenten die Verhandlungen leiteten, und der Hafenpräsident von Teneriffa fügte stolz hinzu: „Zweifellos eine gute Nachricht für die Insel, da sie neben einer großen Hafenbewegung auch eine erhebliche Arbeitsauslastung für die Schiffsreparaturunternehmen Teneriffas anziehen wird.“ Der Chefingenieur des Unternehmens Tenerife Shipyards wohnte mit etwa hundert Arbeitern direkt auf dem Schiff. Die Einnahmen wurden auf etwa eine Million Euro geschätzt. Wenigen Wochen danach schickte Allseas zwei weitere Schiffe nach Granadilla, die ‚Loreley‘ und die ‚Fortitude‘.
Auch die 500 Besatzungsmitglieder der ‚Pioneering Spirit‘, überwiegend asiatischer Herkunft, mussten versorgt werden. So kam endlich Leben in den Hafen von Granadilla, dessen Bau 300 Millionen Euro gekostet hatte und von Gegnern und Umweltschützern wegen seiner Nutzlosigkeit Jahrzehnte lang angeprangert wurde. Er sei zu windig, habe zu viel Wellengang und der Seedeich sei viel zu groß. Diese Zweifel dürften nun ausgeräumt sein, und die Unternehmen Teneriffas können auf mehrere Jahre hinaus Material und Arbeitskräfte bereit stellen.

Schon 2002 hat die kanarische Regierung die Schaffung eines neuen Hafens zur Entlastung von Santa Cruz gefordert, 2005 reiste der damalige Präsident Adán Martín nach Brüssel, um die Notwendigkeit zu unterstreichen und europäische Fördergelder zu bekommen. Doch es dauerte noch mehr als 10 Jahre, bis mit dem Bau begonnen werden konnte.
Denn Umweltschützer reklamierten, dass ein bestimmtes Seegras (cymodocea nodosa) gefährdet sei. Der Antrag wurde vom Parlament abgelehnt, und der Bau begann zunächst im Jahr 2009. Das oberste Gericht entschied jedoch, dass der Bau gestoppt werden muss, weil das Seegras auf der Liste der schützenswerten Arten steht. Daraufhin strich das Umweltministerium die cymodocea nodosa von dieser Liste, und der Hafen wurde endlich gebaut. Selbst ein Professor für Geographie der Universität La Laguna stellte in einer Studie fest, dass der Nutzen des Hafens nicht zu 100% gesichert sei und meinte „die Idee, dass er mit den großen Häfen in der Nähe, wie Casablanca oder Algeciras, konkurrieren könnte, ist nicht vernünftig“.

Im November 2017 kam die Bohrplattform ‚West Leo‘ aus dem Mississippi, um hier repariert zu werden, weitere folgten, dann wurden ein paar Windräder ausgeladen und 1000 Tonnen Schrott abtransportiert, aber wirklich viel tat sich nicht in Granadilla. In zwei Jahren haben 300 Schiffe angelegt. Der erst halb fertige Hafen wurde dann im März 2018 feierlich eingeweiht.

Vier multinationale Unternehmen zogen ihre geplanten Aktivitäten zurück, nachdem das Umweltobservatorium von Granadilla feststellte, dass an 55% aller Tage die Windgeschwindigkeit über 20 Knoten liegt. Im Juni 2019 ist ‚West Leo‘ wieder nach Norwegen verschwunden, seither stand der Hafen mehr oder weniger leer. Im September hatte ein Gastanker kurz angelegt, um 30 Tonen Flüssiggas zu entladen. In Zukunft werden weitere Windräder hier ankommen, und etwa ein oder zweimal im Monat wird ein Gastanker Propangas entladen, eine wichtige Entlastung für den Transport auf der Straße. Ob die geplante Anlage zur Vergasung von Flüssiggas im Zuge der Energiewende überhaupt noch gebaut wird, steht in den Sternen. Vielleicht war die ‚Pioneering Spirit‘ eine große Wende, größer geht es jedenfalls nicht mehr. Jetzt ist man froh, dass der 2512m lange Außendeich doch gebaut wurde.
(Fotos: Diario de Avisos)
Welche anderen Folgen der Hafenbau nach sich zieht, ist auch noch nicht absehbar. Es sind inzwischen schon neue, traumhafte Strände entstanden, weil die veränderte Strömung Sand anspült. Woanders aber fehlt vielleicht der Sand. Mehr darüber findest du in diesem Artikel: Strand ohne Sand.
Hier ist noch ein Video zum Schiff:
13. November 2019: Das größte Schiff der Weltzog weiter
Die „Pioneering Spirit“ hat den Hafen von Granadilla wieder verlassen. Die Arbeiten wurden schneller als vorhergesehen fertiggestellt, schon nach 40 Tagen konnte das Schiff wieder nach Norwegen auslaufen, wo der nächste Auftrag wartet.
In den sieben Wochen Aufenthalt wurden die 560 Besatzungsmitglieder aus 25 Nationen wöchentlich mit zwei Containern voller Lebensmittel versorgt, hauptsächlich frische Produkte von der Insel.
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Artikel-Nr. 12-7-152