Kollaps

Zu viele Autos auf der Insel.

Es ist ein praktisch unlösbares Problem: Jeder, der täglich mit dem Auto unterwegs ist, wird geplagt und genervt von unendlichen Staus. Zu den Hauptverkehrszeiten geht einfach gar nichts mehr, insbesondere auf den Autobahnen. Alle Ideen und alle bereits durchgeführten Maßnahmen sind umsonst, denn der Verkehr nimmt schneller zu als Politiker reagieren können.

Inselpräsidentin Rosa Dávila hatte vor ihrer Wahl im Jahr 2023 versprochen, die Staus in 90 Tagen zu beenden. Darüber kann jeder der täglich geplagten Autofahrer nur lachen. Jeder, der seinen Arzttermin verpasst oder um 8 Uhr bei der Arbeit sein muss, aber sicherheitshalber schon um 6 Uhr losfährt, um dann vielleicht noch eine Stunde im Auto schlafen zu können. Auch Touristen verpassen schon mal ihren Heimflug, weil sie im Stau stehen. So schnell wie der Verkehr zunimmt, kann die Politik nicht reagieren.

Die Anzahl der Autos auf der Insel wächst jährlich um 2%. Auf 1000 Einwohner kommen rund 900 Fahrzeuge. Damit ist Teneriffa eine der Regionen mit der höchsten Fahrzeugdichte der Welt. Fast eine Million Fahrzeuge sind unterwegs.

1500 km Straßen gibt es auf der Insel, alle aneinander gereiht, würden sie bis nach Spanien reichen. So viel Asphalt kann es gar nicht geben, um sie alle in Schuss zu halten. Auch der Bau von neuen Straßen wird langfristig das Problem nicht lösen können.

Die Zunahme des Verkehrs zeigt sich auch an der Zunahme der Unfälle. In den ersten 4 Monaten 2025 gab es doppelt so viele tödliche Autounfälle wie im selben Zeitraum in 2024. Diese ereignen sich aber nicht im Stau, sondern in der Regel unter optimalen Verkehrsbedingungen. Das bedeutet, es gibt immer mehr Autofahrer, die schneller und unkonzentrierter unterwegs sind. 2024 waren es insgesamt 39 tödliche Unfälle. Die gefährlichste Straße auf Teneriffa ist die TF-66 bei Guaza, der gefährlichste Autobahnabschnitt ist auf der TF-5 zwischen Tacoronte und La Victoria.

Die kritischen Punkte der Insel liegen auf den Autobahnen. Der schlimmste ist auf der TF-5, in Höhe von San Lázaro und dem Nordflughafen. Im Durchschnitt passieren hier 109 472 Fahrzeuge täglich das zweispurige Nadelöhr. 70% der Strecke der TF-1 und 66,4% der TF-5 sind gesättigt, d.h. sie haben mehr als 50 000 Fahrzeuge täglich zu verkraften.

Die zehn schwarzen Punkte sind:

Trotz aller Staus ist das Bewusstsein, das Fahrverhalten zu ändern, noch nicht in allen Köpfen angekommen. Mehr als die Hälfte der Autos sind nur mit einer Person besetzt, ein Durchschnittswert wird mit 1,3 Personen pro Auto angegeben. In einer Umfrage der Universität La Laguna (2023) wurde klar, dass 52% der Universitätsangehörigen (Studenten und Angestellte) mit dem Auto kommen, 36 % fahren alleine zur Uni.

Von den rund 3 250 000 Fahrten täglich entfallen an Werktagen rund 93% auf einheimische Pendler und nur 7% auf touristische Fahrten. Ganz anders sieht es im Nationalpark Teide aus. Dort sind es vor allem Touristen, die für den Stau sorgen. Wenn 8000 Fahrzeuge hoch fahren, aber nur 800 Parkplätze zur Verfügung stehen, ist der Kollaps unvermeidlich. Es ist deshalb ebenso unvermeidlich, die Zufahrt zum Teide-Nationalpark zu regeln und zu beschränken. Auch die Regionen Anaga oder Teno werden demnächst mit strengeren Zufahrtsregeln belegt, ähnlich wie es schon in Masca geschehen ist.

Auf der Millionen schweren Liste der Maßnahmen stehen Aktionen aller Art. Der wichtigste Punkt für alle muss die allgemeine Akzeptanz der Bevölkerung sein.

Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs

In den Jahren 2024 und 2025 wurden 247 neue Busse angeschafft, 70 weitere werden 2026 dazu kommen, davon 13 Doppelstockbusse. 360 Fahrer oder Angestellte wurden neu von der Titsa eingestellt. Die Möglichkeit für Pendler, gratis mit dem Bus zu fahren, hat zu einer enormen Zunahme der Fahrgäste geführt. 2024 verzeichnete der öffentliche Nahverkehr 105 Millionen Fahrten, davon 80 Millionen in Bussen und 25 Millionen in den Straßenbahnen. Die Zahlen steigen weiter. Mit der Folge, dass trotz Erweiterung des Angebots die Busse oft überfüllt sind, und so mancher Fahrgast an der Haltestelle zurückbleiben muss – besonders unangenehm, wenn man abends noch einen Anschlussbus erreichen muss.

Ein Problem, das nicht gelöst werden kann, liegt in der Orographie der Insel. Es gibt viele steile und schmale Straßen und viele abgelegene Orte, wo die Busse niemals hinkommen können. Mit dem Auto zur Bushaltestelle zu fahren und dort keinen Parkplatz zu finden, ist für die meisten Dorfbewohner keine Alternative.

Einige Gemeinden haben ein Rufbus-System eingeführt, bei dem man einen Tag vorher einen Kleinbus bestellen kann, der dann auch zu schwer erreichbaren Häusern fährt. Aber das sind nur punktuelle Lösungen, die den großen Kollaps nicht beseitigen.

Spezielle Shuttle-Busse fahren morgens zur Universität und abends wieder zurück, drei aus dem Norden und einer aus dem Süden. Laut Inselpräsidentin reduzieren sich dadurch die Autofahrten um 111 000, das seien 550 Autos weniger pro Tag zu den kritischen Zeiten auf der TF-5. Dies habe angeblich die Fahrzeit zwischen Puerto de la Cruz und La Laguna um 10-18% verkürzt. Aber ist die Fahrzeit mit dem Bus tatsächlich kürzer, wenn dieser auch im Stau steht?

Bau von neuen Straßen

Neue Straßen kann es nicht geben. Schuld daran ist wieder die Orographie. Es gibt fast nirgends Alternativen zur Autobahn oder zu den Küstenstraßen. Auf der einen Seite das Meer, auf der anderen der Berg. Eine Straße neu zu bauen, erfordert Tunnels und Brücken, Projekte, die – selbst wenn sie technisch machbar und genehmigt wären – Jahrzehnte dauern würden.

Die Fertigstellung des Autobahntunnels zwischen El Tanque und Santiago del Teide verzögerte sich immer wieder. Nicht einmal wegen technischer Probleme, sondern auch wegen administrativen Hürden und Gerichtsverfahren hinsichtlich der Ausschreibungen. Den endgültigen Schluss des Autobahnrings mit dem fehlenden Teilstück zwischen Icod und Los Realejos wird es auch in 50 Jahren noch nicht geben. Die extrem steile Landschaft stellt riesige Probleme dar und erfordert so hohe Investitionen, die alle beteiligten Haushalte überfordert. Dringend notwendig wäre auch ein Tunnel zwischen La Laguna und Tegueste, aber auch dort gibt es bislang nur Ideen und Gedanken.

Eine Umleitung beim Stau ist unmöglich. Bei einem kleinen Unfall auf der Autobahn hat man einfach keine andere Wahl. 600 Höhenmeter hinauf in die Berge, auf kurvigen kleinen Straßen und durch enge Dörfer, um 5 km weiter wieder herunter zu fahren, das ist absolut keine Alternative. Querverbindungen gibt es nicht, der Verkehr auf der Insel verläuft linear.

An einigen Stellen führten kleinere Änderungen zu begrenzten Erfolgen. Neue Spuren an der Ausfahrt von San Isidro/El Médano, ein besserer Kreisverkehr bei Oroteanda/Las Chafiras, oder die große, kreisrunde Fußgängerbrücke über die TF-5 bei der Universität La Laguna. Deren Fertigstellung verzögerte sich aber auch länger als geplant, angeblich weil die Bauteile nicht schneller geliefert werden konnten. Lies dazu den Artikel San José zieht um.

Erweiterung der bestehenden Straßen

Eine dritte Fahrspur der TF-5 beim Flughafen könnte etwas Erleichterung bringen. Doch auch mit sechs Fahrspuren in einer Richtung ließe sich der Stau zur Hauptverkehrszeit nicht vermeiden, so die Experten. Für diese dritte Fahrspur in Richtung Santa Cruz gibt es außer Willenserklärungen und Ideen noch keine Machbarkeitsstudien, geschweige denn Ausschreibungen.

Der Bau einer Entlastungsstraße auf der anderen Seite des Flughafens wurde bereits 2020 vorgestellt, u.a. auch vom Bürgermeister von La Laguna. Der Bau sollte 2022 beginnen. Doch derselbe Gemeinderat von La Laguna hat ihn später abgelehnt wegen zu großer Belastung für Natur und Anwohner.

Selbst nach einem Baubeginn würde es zehn Jahre dauern, bis eine weitere Fahrspur bereit stünde. Zu lange, denn die Anzahl der Fahrzeuge wächst weiter. Es gibt sogar Leute, die eine dritte Fahrspur bis nach Icod fordern. Das wird noch lange ein Traum bleiben.

Auf der TF-1 im Süden ist es nicht anders. Zwischen dem Flughafen und Adeje ist der Kollaps täglich zu sehen. Die dritte Fahrspur der TF-1 zwischen San Isidro und Playa de las Américas war eigentlich schon 2018 zur Ausschreibung vorgesehen. Am 5. November 2025 hat der Rat für öffentliche Arbeiten der Kanarischen Regierung den Ausbau endgültig verabschiedet. 175,4 Millionen Euro sind dafür vorgesehen, um zwischen Oroteanda und Los Cristianos drei Fahrspuren pro Richtung einzurichten und die Anschlussstellen und Zubringerstraßen zu verbessern. Die Bauzeit soll 42 Monate betragen. Wann die Bagger dort anrücken ist aber noch nicht bekannt.

Und wenn, dann müssen die Autofahrer noch viel Geduld haben. Schon der Ausbau des Mega-Kreisverkehrs an der Anschlussstelle Oroteanda hat sie viele Nerven gekostet.

Entzerrung der Kurszeiten an der Universität und in den Schulen

In den Schul- und Universitätsferien verbessert sich die Situation merklich. Seit September 2025 beginnen nicht alle Kurse in der Universität gleichzeitig am Morgen. Die Zeiten wurden verlegt, oft auch auf den Nachmittag. Laut offiziellen Verlautbarungen hat dies eine deutliche Erleichterung gebracht.

Pförtnerampeln

Nur so viele Autos in die Autobahn zu lassen, wie diese verkraften kann, war auch eine Idee von Rosa Dávila. Versuche wurden schon gemacht. Mit der Folge, dass der Kollaps auf den Landstraßen noch größer wurde. Ob dies dauerhaft umgesetzt wird, ist noch offen.

Eisenbahnen

Einen Teil des Verkehrs auf die Schiene zu bringen, könnte für Entlastung sorgen. Doch die Schiene auf die Insel zu bringen, ist nicht ganz einfach. Vom Bau der Südbahn Santa Cruz – Adeje ist schon lange die Rede, doch die enormen Investitionen dafür ließen das Projekt vorläufig auf das Teilstück zwischen Flughafen und Adeje zusammenschmelzen. Aber wann hier endlich Baubeginn sein soll, ist noch völlig offen. Die Stadt Candelaria will für den Fall, dass die Bahn dort vorbeifährt, nicht mal einen Bahnhof haben.

Die Nordbahn nach La Orotava ist Zukunftsmusik und noch viel weniger finanzierbar. Sie würde praktisch nur aus Tunneln und Brücken bestehen.

Schon 2013 favorisierte der damalige Inselpräsident Ricardo Melchior den Bau der Magnetschwebebahn Transrapid. Er hatte enge Verbindungen zu Siemens und Thyssen-Krupp. Sogar das deutsche Verkehrsministerium sah „außergewöhnlich hohe“ Realisierungschancen. Aber – mehr als ein Luftschloss war es nicht.

Manch einer träumte auch schon von einem Tunnel quer durch die Insel, von La Orotava nach Güímar oder von La Victoria nach Las Caletillas. Lies hierzu den Artikel Mit 180 durch den Berg.

Es ist auch für die Politik schwierig zu entscheiden, welche dieser Maßnahmen vorrangig sind. Der Inselrat für Straßen, Dámaso Arteaga, stellt klar, dass „noch viel zu tun ist“. Die Insel „darf keine Minute mehr verlieren bei der Verbesserung der Infrastruktur“. Die Autofahrer auf der Insel werden noch viele Minuten verlieren und müssen sich noch sehr lange auf den Kollaps einstellen, und der wird zunehmen, so lange die Zahl der Fahrzeuge weiter wächst.

Natürlich hat die Inselregierung einen Plan. Er nennt sich „Plan für nachhaltige Mobilität“ und sieht 91 Aktionen vor, den Kollaps zu beherrschen. Man plant für die Jahre 2035 bis 2045. Doch bis dahin wächst die Zahl der Fahrzeuge weiter um jährlich 2%.

Alle Fotos: diverse Pressenachrichten



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4 Gedanken zu “Kollaps

  1. hallo

    zu Busverkehr: gut gedacht, gut gemacht, aber in der Praxis die Klientel vergessen. Seitdem busfahren für (fast) alle kostenlos ist, fahren auch viel mehr Leute mit dem Bus, die früher selten oder nie unterwegs waren. Es sind, glaube ich, weniger die Leute, die vom Auto auf Bus umsteigen, die die Busse (über)füllen.

    Ja und ganz richtig angemerkt: im Stau sind alle gleich…

    Danke und Grüße

    Niko / Icod

    nikofanny1958@gmail.com

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  2. Ja, ich kann das bestätigen. Gerade eine Woche da gewesen und auch in San Lazaro gestanden. Ohne dritte Spur wird das nicht besser. Eine Idee wie man das Problem grundsätzlich löst fällt mir auch nicht ein. Eine Verlängerung der Straßenbahn Richtung Las Caletillas klingt sinnvoll, aber teuer.

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      • Ja, ich sah vor Tacoronte ein „no al tren“ als Grafitto.
        Ich fürchte eine Lösung steht nicht unmittelbar bevor. Wobei der Tunnel im Teno schon ein wenig Entlastung bringen kann. Mehr für Touristen vermutlich

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