Sie sind wieder da: Die „Mikroalgen“

Du freust dich auf ein Wochenende am Meer. Du fährst zum Strand. Du findest ein schönes Plätzchen für dein Handtuch. Du gehst ans Wasser und steckst einen Fuß rein. Temperatur: perfekt. Du willst dich reinstürzen und dann… siehst du ein paar Meter weiter einen Fleck im Wasser. Du weißt nicht, was das ist, Algen, Dreck, Abwasser? Egal. Das Wasser drumherum sieht sauber aus, es baden auch noch andere, es ist heiß, und du wolltest dich doch erfrischen, jetzt fährst du doch nicht wieder heim! Genau wie du denken die meisten: „bah, das ist doch nichts!“
Vor kurzem erst sind 10 000 Liter Öl bei Güímar ins Meer geflossen. Die EU hat Spanien in Millionenhöhe wegen unbehandelter Einleitungen sanktioniert, zwei davon in Teneriffa. Und dieses Jahr wiederholt sich dieselbe Plage wie letztes Jahr, wie alle Jahre. Braun-grüne, schaumige Teppiche schwimmen herum, nicht nur an einem Ort. Aber das stört niemanden. Man macht vielleicht ein Foto, aber niemand verlässt den Strand und niemand kommt aus dem Wasser. Man schwimmt drumherum.
Die Regierung informiert regelmäßig in ihrer Mitteilung: „Dies ist ein natürliches Phänomen, an das wir uns gewöhnen müssen.“ Und: „Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung wurden nicht festgestellt.“

Worum dreht es sich? Hier sind acht Punkte, die du über die „Mikroalgen“ wissen musst.
1. Was ist das?
In Wirklichkeit sind es keine Algen, sondern Cyanobakterien, die so heißen, weil sie in der Lage sind Photosynthese zu betreiben. Es gibt ganz viele verschiedene, und viele davon kennen die Wissenschaftler noch gar nicht so genau. Ihr exakter Name ist Trichodesmium erythraeum.

2. Woher kommen sie?
Der Hauptgrund für dieses neue Phänomen rund um die Kanarischen Inseln ist die Zunahme der Wassertemperatur, die mit großer Wahrscheinlichkeit dem globalen Klimawandel zuzuordnen ist. Früher gab es sie nicht, weil das Wasser kälter war.
3. Warum bei Windstille?
Die Ansammlungen in Form von großen braunen oder grünen Teppichen auf der Wasseroberfläche bilden sich, wen es windstill ist. Dann wird das Wasser nicht mehr so gut durchmischt. Deshalb trifft man sie häufiger im Süden, in windstillen Buchten und in Hafenbecken an.

4. Warum bei Hitze?
Es muss warm genug sein, damit sich die Bakterien stark vermehren können. Das ist frühestens ab Mitte Juli so. Besonders im August und September steigt dann die Wassertemperatur so weit an, dass sich die Bakterien wohlfühlen.
5. Bleiben sie da?
Jein. Man muss sich daran gewöhnen, wie schon das Ministerium sagte. Denn an der Erwärmung des Meeres ist nicht mehr zu rütteln. Andererseits, so bald es im Herbst wieder kühler und stürmischer wird, verschwinden sie von selbst. Doch sie kommen wieder, im nächsten Jahr. Versprochen!

6. Hat die Calima was damit zu tun?
Ja. Denn dann ist Staub in der Atmosphäre, der auch ins Meer kommt. Dieser enthält Eisen, was die Bakterien gerne mögen.
7. Sind sie gesundheitsschädlich?
Ein paar davon sind giftig, aber nicht besonders. Du bekommst vielleicht einen Hautausschlag, und das juckt. Geh woanders schwimmen und sammle nichts mit bloßen Händen am Strand auf.
8. Haben sie etwas mit Abwassereinleitungen zu tun?
Da fängt es an, spannend zu werden, und politisch. Das Thema wird kontrovers diskutiert. Im Prinzip ist das Dreckwasser nicht die Ursache für die Bakterienausblühungen. Die Professorin Marta Sansón von der Universität La Laguna sagte schon letztes Jahr: „Abwassereinträge gab es schon immer, aber das Bakterienphänomen ist neu.“ Die Politiker und das Gesundheitsministerium streiten einen Zusammenhang ab und führen an, dass die Bakterienteppiche auch dort vorkommen, wo es keine Abwassereinleitungen gibt. Aber da, wo es sie gibt, sind sie eindeutig häufiger und größer. Zum Beispiel an der Küste von Santa Cruz, gleich beim Palmetum, wo der ganze Dreck der Hauptstadt ungeklärt ins Meer fließt.
Tatsache ist, dass die kleinen Übeltäter von einer hohen Phosphor- und Stickstoffkonzentration im Wasser profitieren. Einen eindeutigen Zusammenhang haben zwei israelische Ozeanographen in einem Fall einer unbeabsichtigten Abwassereinleitung vor der Küste von Haifa nachgewiesen. Ihr Artikel mit dem Titel „Sewage outburst triggers Trichodesmium bloom and enhance N2 fixation rates“ ist in der Zeitschrift Scientific Reports erschienen. Auch eine Gruppe von Wissenschaftlern aus Marseille hat gezeigt, dass Trichodesmium sich besonders dann stark vermehrt, wenn vermehrt Phosphate, Nitrate und organisches Material im Wasser ist. Und das ist nun mal im Abwasser der Fall. Die Bakterien verzichten dann angeblich auf das CO2 und müssen nicht mehr an der Photosynthese arbeiten, sondern nutzen bequem das, worin sie schwimmen. Der wissenschaftliche Nachweis dafür steht aber noch aus. In Haifa musste man nichts unternehmen, weil es ein Einzelfall war und sonst keine ungeklärten Abwässer in Meer fließen. Doch das ist hier anders.
Schlaue kanarische Politiker haben aber eine Lösung gefunden. Es kommen zwei Boote zum Einsatz, die die braunen Mikro-Teilchen aus dem Wasser fischen und dieses mit einem spezielle Filtersystem säubern. Das spanische Unternehmen Ocean Cleaner ist als einziges weltweit spezialisiert auf solche Aufgaben und wurde von der kanarischen Regierung angeheuert.


Das Gesundheitsamt gibt Ratschläge:
- Geh nicht baden und vermeide am Strand den Kontakt mit Algen oder Schaum.
- Achte auf die Windrichtung, um keine Aerosole einzuatmen.
- Trage beim Wassersport einen Neopren-Anzug und vermeide, dass Wasser in den Anzug kommt.
- Dusche und wasche dich gründlich nach einem Kontakt mit Mikroalgen.
- Wasche und trockne alle Kleidung, die Kontakt hatte.
- Wenn du gesundheitliche Probleme nach dem Baden hast, geh zum Arzt.
Mit dem Hubschrauber geht man laufend auf die Suche nach weiteren „blooms“. Bei Güímar wurden schon welche gesichtet, an der Küste von El Sauzal, Punta de Hidalgo, im Süden der Insel La Palma, und sogar in El Hierro. Und da gibt es nun wirklich nicht viel Abwasser. Ein gutes Argument mehr für die Politik, die das Abwasserproblem nicht wirklich angehen will. Die Bürgermeisterin von Güímar, die sich gerne medienwirksam in Szene setzt, hat angeblich nicht einmal gewusst, dass die Abwassereinleitungen aus ihrem gesamten Industriegebiet illegal sind. Für dieses „Nichtwissen“ wurde sie später auch vor Gericht gestellt. Die Einleitungen haben keine Genehmigung von der Regierung, wurden aber von einem Verwaltungsgericht autorisiert, vorläufig, in der Hoffnung, dass eine Kläranlage bald gebaut würde. Doch das ist schon lange her. Auf der ganzen Insel gibt es nur fünf städtische Kläranlagen.



In Teneriffa gibt es 146 Einleitungspunkte von ungeklärtem Abwasser ins Meer, davon 72% ohne behördliche Genehmigung. 96% aller Abwässer der Insel fließen ungeklärt ins Meer, jeden Tag 57 Millionen Liter. Viel Futter für die Bakterien, so zumindest die überwiegende Meinung in der Gesellschaft. Aber kein gutes Argument für die Tourismus-Branche. Doch zum Glück kommen die meisten Touristen im Winter, und wenn die Bakterienblüte ihren Höhepunkt erreicht, sind die spanischen Urlauber auch wieder weg.
Man sieht sie nicht nur, man riecht sie auch. Diese Einzeller sammeln sich an der Oberfläche, die Sonne zersetzt sie, und wenn sie sterben, setzen sie sehr hohe Konzentrationen an organischer Substanz – die den Schaum bildet – und Pigmenten frei, daher ihre bläulich-rote Farbe. Sie binden auch viel Stickstoff, aber in Form von molekularem Stickstoff, der sich in Ammoniak umwandelt, daher ihr stinkender Geruch. Sie geben all dies frei, weil sie nicht mehr aktiv sind. An der Küste kommen sie in größeren Ansammlungen vor, weil sie von den Strömungen herangetragen werden und sich in Buchten sammeln.
So war es beispielsweise 2017:
Gehst du nun baden oder nicht?


Aktualisierung September 2018:
An der Kläranalage für das Tal von Güímar hat nun der Bau begonnen, sie soll bis Ende 2019 in Betrieb gehen. Der Bau der Kläranalage für Industrieabwässer soll in den nächsten Monaten ausgeschrieben werden.
Aktualisierung Juni 2019:
Der Finanzierungsvertrag für die Kläranlage von Güímar wurde nun zwischen dem Cabildo und den betroffenen Gemeinden (Candelaria, Arafo, Güímar) ausgehandelt. Es sollen 6,9 Mio Euro zur Verfügung gestellt werden. Nach der Unterzeichnung können die Arbeiten ausgeschrieben werden. Mit einem Beginn der Arbeiten ist nicht vor Mitte 2020 zu rechnen, die Bauzeit wird mit etwa 23 Monaten veranschlagt.
Es werden also viele weitere Jahre ins Land gehen, bis das Projekt endlich fertig ist.
Aktualisierung Oktober 2020
Mehrere Politiker und Verantwortliche müssen sich nun vor Gericht verantworten, weil sie gewusst haben, dass die Abwassereinleitungen illegal sind. Sie haben damit bewusst gegen Umweltgesetze und die öffentliche Gesundheit verstoßen.
Allerdings, mehr als drei Jahre nach dem massiven Auftreten der „Mikroalgen“, hat nun eine Studie bewiesen, dass es keinen Zusammenhang mit dem Abwasser gibt. Der ganze Alarm in der Gesellschaft war falsch und beruhte auf der Verbreitung von Tatsachen, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrten.
Wissenschaftler der Universität von Las Palmas und dem französischen ozeanographischen Institut für das Mittelmeer haben nachgewiesen, dass diese Bakterien sich nicht von den Schadstoffen der Abwassereinleitungen ernähren. Entscheidend für die Zunahme von Trichodesmium sei der Anstieg der Meerwassertemperatur und der Eintrag von Eisen und anderen Spurenelementen durch das gehäufte Auftreten von Staub in Calima-Situationen. Die geringe Wasserbewegung durch fehlenden Wind in diesen Wetterlagen begünstigt das Bilden von Algenwolken, die sich dann nicht in tieferen Wasserschichten verteilen können.
„Dies ist ein sehr interessantes Beispiel dafür, wie eine Unwahrheit die Gesellschaft durchdringen kann. Auf Teneriffa gingen die Menschen massenhaft auf die Straße, um gegen die Mikroalgen zu demonstrieren, was ungefähr so ist, als würde man gegen die Sonne oder den Wind sein,“ schreiben die Forscher.

Aktualisierung März und September 2022
Ein kleiner Schritt nach vorne: Die Kläranlage im Industriegebiet von Güímar hat ihren Betrieb aufgenommen. Das Netz der Abwasserleitungen ist aber noch nicht so ausgebaut, dass wirklich alles Schmutzwasser dort ankommt. Aber sie sind immer noch da, die bösen Bakterien. Im September 22 mussten mehrere Strände mehrfach gesperrt werden. Besonders betroffen waren die Küsten von Candelaria und, wie üblich, El Médano.
Alle Bilder: Diario de Avisos
Artikel-Nr. 0-24-115
Da Teneriffa hauptsächlich aus Gestein besteht, die meisten Häuser darauf gebaut sind, keine Keller sind möglich, auch kein Abwassersystem sondern ein Rohr!! das ein paar Meter misst und direkt ins Meer mündet. Manchmal, wenn man Glück hat, ist das Abwassersystem an eine Sickergrube gekoppelt… diese wird dann ab und zu von Sickergruben-Tankern entleert. Viele Deutsche, ausländische Hotels unweitere Investoren kaufen auf Teneriffa für wenig Geld und dulden schweigend dieses „Rohr“ direkt in den Atlantik. Wer zahlt schafft an. Die Teneriffaner selbst haben nur wenig Bewusstsein für ihr Meer.
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