Die Höhle des Königs

Vergessene Geschichte.

Schwer vorstellbar, dass ein König in einer Höhle wohnt. Doch die Herrscher der Guanchen brauchten keinen Luxus. Sie lebten genau so wie ihre Untertanen. Ein gesichertes Beispiel für einen solche Höhlenwohnung findet man unterhalb von Güímar in einem Tal namens Chinguaro. Dort gibt es einen vergessenen und verlassenen archäologischen Fundort, der mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.

Das Wort Chinguaro bedeutet in der Sprache der Guanchen ein kleines Tal, eine Schlucht, die nicht besonders tief ist. Sie liegt mitten im Tal von Güímar auf knapp 200 m Höhe, umgeben von Gemüsefeldern und etwa 3 km von der Stadt Güímar entfernt. Es ist ein bisschen schwierig, auf den kleinen und verwirrenden Straßen dort hin zu finden. Obwohl es seit 1999 ganz offiziell ein Kulturgut in der Kategorie historischer Orte ist, gibt es keine Hinweisschilder, und auf der touristischen Landkarte der Insel ist er nicht verzeichnet. Direkt davor steht jedoch eine kleine Infotafel.

Die Höhle, die von großer archäologischer Bedeutung ist, ist eines der 13 Nationalen Kulturgüter in der Gemeinde Güímar. Hier wurden verschiedene Werkzeuge und Keramiken aus der Zeit der Guanchen gefunden. Es gilt als sicher, dass dort die Menceyes von Güímar residierten und der letzte Mencey Acaymo seinen Wintersitz hatte, dessen Reich vom heutigen Santa Cruz bis nach Arico reichte.

Hier im Grund des Tälchens befand sich ein „Eres“, eine flache Mulde, in der sich Regenwasser sammelte und sich lange Zeit hielt, was das Überleben der Gruppe begünstigte, die hier wohnte. Heute plätschert ein kleines Rinnsal aus der Mauer, das Wasser steht in einem Tümpel mit Wasserpflanzen und sichert das Überleben von Insekten und kleineren Wasservögeln.

In dieser Höhle fand eine der wichtigsten Episoden der Christianisierung der Insel statt. Im Prinzip ist es keine richtige Höhle, sondern nur ein Reihe von mehreren Felsüberhängen, die aber mit Sicherheit von Menschenhand vertieft wurden. Die Höhle Chinguaro war der erste „Wohnort“ der Jungfrau von Candelaria und das erste Heiligtum der Ureinwohner der Kanarischen Inseln, das ein christliches Bildnis enthielt, obwohl die Guanchen zu dieser Zeit ihrer Naturreligion folgten, einem vielfältigen Glauben, in dem Gegenstände, Werkzeuge für den täglichen Gebrauch oder solche, die für besondere Anlässe reserviert sind, sowie jedes Element der natürlichen Welt, Berge, Schluchten, der Himmel, die Erde, bestimmte charakteristische Orte, Felsen, Pflanzen, Tiere, Bäume usw., mit Seelen ausgestattet sind und als Götter verehrt oder gefürchtet werden. Es gibt zwar viele Varianten des Phänomens innerhalb dieses Konzepts, wie z. B. der Glaube an geistige Wesen, einschließlich menschlicher Seelen, doch in der Praxis erstreckt sich die Definition auf die Tatsache, dass personifizierte übernatürliche Wesen, die mit Vernunft, Intelligenz und Willen ausgestattet sind, unbelebte Objekte bewohnen und deren Existenz bestimmen. Dies kann einfach so ausgedrückt werden, dass alles lebendig ist, ein Bewusstsein hat oder eine Seele besitzt.

Die Legende erzählt, dass das Bild der Jungfrau von Candelaria nach dem Auftauchen am Strand von Chimisay, dem heutigen El Socorro, in den Höhlenpalast des Mencey von Güímar in Chinguaro gebracht wurde, und dass sich diese Tradition der Guanchen lange Zeit erhalten hat. Ein junger Guanche, den sie Antón nannten, der an der Küste gefangen genommen und auf Lanzarote zum Christentum bekehrt worden war, kehrte zurück und erklärte dem Mencey, dass das in Chimisay gefundene Bild die Mutter des Erhalters von Himmel und Erde sei. Für die Guanchen wurde dies zum personifizierten Bild ihrer höchsten Göttin Chaxiraxi. Die Statue der Jungfrau wurde auf Schaf- und Ziegenfelle gebettet und 30 oder 40 Jahre später dann in die Höhle Achbinico in Candelaria gebracht und dort verehrt.

Nach der spanischen Eroberung der Insel blieb Chinguaro ein lokaler Wallfahrtsort. Der wichtige Pilgerweg Camino Real de Candelaria (Königsweg von Candelaria) verlief in der Nähe, so dass viele Pilger und Reisende den Ort aufsuchen konnten. Schließlich erhielt der Ort aufgrund dieses christlichen Zeichens den Namen Las Cruces. Zwischen 1793 und 1806 schrieb Francisco Escobar y Serrano seine Estadística de las Islas Canarias (Statistik der Kanarischen Inseln), in der er feststellte: „…Andere Orte der Anbetung sind…die Santa Cruz, in derselben Höhle, in der der Überlieferung nach der König von Güímar lebte…“.

Im Laufe der Zeit wurde über der Höhle eine Einsiedelei errichtet. Das Bild der Einsiedelei wurde 1827 vom französischen Konsul auf Teneriffa, Sabino Berthelot, nach seinem Besuch der Feierlichkeiten von San Pedro gezeichnet. Dieses Bild ist ein anschauliches und historisches Zeugnis dafür, wie Chinguaro in einer nicht allzu fernen Vergangenheit aussah.

Der Verfall von Chinguaro begann 1912 mit dem Bau des Staubeckens von Las Cruces, ein kleines Stück weiter oben. Der bei der Aushebung des Stausees anfallende Schutt wurde respektlos im Tal abgelagert und begrub die Höhle des Königs und das „Eres“ des Flussbettes. Um 1928 baute eine Gruppe verantwortungsbewusster Anwohner eine Treppe, die zu der unterirdisch belassenen Höhle hinunterführte. Sie renovierten auch Ende der 50er Jahre die alte Kapelle von Las Cruces, die aber zwanzig Jahre später einstürzte. Die Gemeindemitglieder brachten einige bescheidene Gegenstände nach San Pedro in Güímar. Darunter auch einen Kreuzweg mit christlichen Bildnissen, welche sie durch den Verkauf von Hustensaft erworben hatten.

Der Wunsch, Chinguaro wiederzubeleben, wurde gefördert durch Spenden von Emigranten in Venezuela, Süßigkeitenverkauf bei den San Pedro Festen und eine Vielzahl von Treffen und Projekten, die fast drei Jahrzehnte gedauert haben. Der Weg war kompliziert, wichtige Aktionen waren die Beseitigung der Trümmer aus der Schlucht, wobei weitere Überreste der Ureinwohner in der Haupthöhle entdeckt wurden, sowie der Abriss der eingestürzten Eremitage.

Die Anlage blieb praktisch verlassen, bis in den 1990er Jahren mehrere archäologische Untersuchungen durchgeführt wurden, und 1993 wurde ein Verfahren eingeleitet, um es zum Kulturgut zu erklären. Im Jahr 2000 war klar, dass das Projekt mangels finanzieller Möglichkeiten in eine Sackgasse geraten war. Dies machte es notwendig, alles neu zu beginnen, mit dem klaren Wunsch, einen Konsens zwischen den Absichten der Diözese, dem Inselrat von Teneriffa und dem Stadtrat von Güímar zu erreichen. Die Vereinbarung zwischen den drei Institutionen ermöglichte dann 2001 den Kauf des Grundstücks und den Bau einer neuen Kapelle nach einem internationalen Ideenwettbewerb, aus dem das Tajea genannte Projekt der Architekten José Delgado, Carlos Díaz und Francisco Carrancho hervorging, das gemeinsam von den drei beteiligten Institutionen finanziert wurde. Das Projekt wurde 2006 dahingehend geändert, dass eine neue Kapelle gebaut wurde und somit einige Ruinen der ursprünglichen Einsiedelei erhalten blieben. Die neue Einsiedelei wurde am 20. Oktober 2007 von Bischof eingeweiht, zur Feier brachte man das Bild der Jungfrau von Chinguaro aus der San Pedro Kirche wieder hier her.

Es handelt sich um eine in den Berg hinein gebaute, moderne Kapelle mit einem Altar, dem Bild der alten Eremitage und einigen Sitzbänken aus Stein. Einmal im Monat findet hier ein Gottesdienst statt. Darüber auf dem Hügel steht ein Gerüst aus verrosteten Eisenträgern mit einem Kreuz und der frei hängenden Kirchenglocke.

Es wurden auch einige moderne Nebengebäude errichtet, ein barrierefreier Zugang von der Straße und gegenüber eine Parkmöglichkeit. Aber aus der Idee, einen archäologischen Park als überregionale Attraktion zu schaffen, wurde vorläufig nichts. Die Anlage ist in einem schlechten und ungepflegten Zustand und wird, wenn nichts weiter geschieht, langsam verwildern. Der historische Ort und die Höhle des Königs taucht in keinem Reiseführer auf.

Im März 2024 traf sich die Generaldirektion für Kultur und kulturelles Erbe mit dem Regierungsteam des Stadtrats von Güímar, um weitere Aktionslinien zur Förderung des kulturellen Erbes der Gemeinde zu koordinieren. Es soll ein Projekt entwickelt werden, das den Llano de la Virgen in El Socorro mit dem Chinguaro-Komplex verbindet, dokumentiert und der Bevölkerung zugänglich macht.


Ein anderes historisches Objekt mit einer viel rätselhafteren Geschichte befindet sich ganz in der Nähe von Chinguaro, der Turm von Taro.

Es handelt sich um einen zylindrischen Turm von drei Metern Durchmesser, einer Höhe von etwa sechs Metern und einem spitzen, kegelförmigen Dach. Er hat zwei Stockwerke und im Inneren eine Wendeltreppe. Oben gibt es vier Fenster in den vier Himmelsrichtungen, was ein eindeutiges Zeichen dafür ist, dass es sich um Ausguck oder einen Wachturm handelt.

Er steht an einer strategischen Stelle, von der aus man das gesamte Tal von Güímar überblicken kann, von der Bergkette bis hinunter zur Küste und der Montaña Grande im Malpaís de Güímar.

Tatsächlich gab es auch in der Guanchenzeit schon solche „Taros“, die unter anderem als Aussichtspunkte genutzt wurden. Sie sahen allerdings ganz anders aus. Das Historische Wörterbuch der kanarischen Sprache (Diccionario Histórico del Español de Canarias, DHECan) definiert solche Bauten als „einen runden Turm aus trockenem Stein und ohne Mörtel, der zur Aufbewahrung von Gemüse, zur Reifung von Käse, als Unterschlupf für den Hirten oder zur Bewachung von hohen Punkten aus diente“, und an einer anderen Stelle als „ein Gestell aus vier Seilen, das vom Dach eines Hauses herabhängt und drei oder vier Gerüste oder Schilfrohre übereinander trägt, das vor allem zur Reifung von Käse verwendet wurde“.

Der Geschichtsschreiber Álvarez Delgado bestätigte 1992 das Überleben des Namens Taro und der so benannten Konstruktionen auf Teneriffa und schrieb, dass „vor und nach der Eroberung diese Taros benutzt wurden, um die Eingeborenen durch Rauch, Schläge oder Pfeifen mit der Schneckenschale zu rufen“. So reichte die Kommunikation von Taro zu Taro und von Berg zu Berg in jeden Winkel der Region; und es ist sehr bezeichnend, dass sich sowohl der Taro von Güímar als auch der von Arico in der Nähe der Orte befinden, die traditionell als Wohnsitz der Menceys von Güímar und Abona angegeben werden.

Auch auf Lanzarote gibt es solche Taros, und es ist bekannt dass der Künstler César Manrique, nachdem er aus New York zurückgekehrt war, sich im Dorf Tahiche niederließ und als Standort für sein Haus einen Ort wählte, an dem sich große Vulkanblasen befanden, die seit 1992 der Sitz seiner Stiftung wurden. Er nannte sein Haus „Taro de Tahiche“, zu Ehren des Taros, der in der Nähe stand, denn für den Künstler hatte dieses Bauwerk die gleichen Werte von Zuflucht und Schutz, die er seinem Haus geben wollte.

Die verschiedenen Autoren, die sich mit dem Wort Taro befasst haben, sind sich jedoch nicht einig, was seine vorspanische Herkunft angeht. Die Autoren des DHECan sagen, dass es einen „möglichen vorspanischen Ursprung“ hat, und Álvarez Delgado vertritt die gleiche zweifelhafte Meinung, wenn er es mit dem lateinischen turris in Verbindung bringt. Auch andere sprechen sich entschieden gegen die Herkunft aus der Guanchensprache aus, denn „die Parallelen dieses Wortes können in einem lateinischen etymologischen Wörterbuch nachgeschlagen werden“.

Sprachwissenschaftler an der Universität Las Palmas glauben dagegen, dass das kanarische Wort Taro eine veränderte Form des berberischen tazrot sein könnte, mit der Bedeutung von „Stein“ und Vertauschung der Vokale. Und in der Tat wird es in der kanarischen Sprache entweder auf einen Kreis von Steinen oder auf einen hohen Platz mit Steinen oder auf einen Rastplatz für den Hirten aus Steinen oder für den Fischer an der Küste usw. angewendet.

Wie auch immer. An dieser Stelle auf einem nicht mehr bewirtschafteten Feld in der Nähe von Chinguaro könnte es mal einen solchen Taro gegeben haben. Warum dort heute ein runder, gemauerter Turm mit vier Fenstern steht, ist nicht mehr bekannt, weder wann noch von wem er erbaut wurde. Wer das Innere des Turms mit Farbe aus der Spraydose „verschönert“ hat, ist ebenfalls nicht bekannt.

Karte:

Gehe zu Google Map:

Mehr über die Jungfrau, die Höhle Achbinico und den Strand von Chimisay findest du in diesem Artikel: Der Tag, an dem die Jungfrau verschwand.

Auf dieser Wanderung kommst du am Strand von El Socorro vorbei: Schwarze Küste.


3 Gedanken zu “Die Höhle des Königs

  1. Pingback: Schwarze Küste | Mein Teneriffa - Mi Tenerife

  2. Pingback: Der Tag, an dem die Jungfrau verschwand | Mein Teneriffa - Mi Tenerife

  3. Guten Tag,

    wie kann ich einen Kommentar auf deinem Beitrag hinterlassen, ohne dass meine persönlichen Daten zu sehen sind? Beim letzten Mal habe ich etwas falsch gemacht und du hast korrigiert…

    Saludos / Liebe Grüße Walter

    Like

Hinterlasse einen Kommentar