Kultur im Tank.

Nur ein paar hundert Meter entfernt vom glänzend weißen Auditorio de Tenerife steht eine riesige, runde, hässliche Thunfischdose, 50 Meter im Durchmesser und 17 Meter hoch. Ob die folgende Geschichte, die in dieser Dose spielte, wirklich wahr ist, weiß niemand. Rätselhaft und schauerlich ist sie auf jeden Fall. Doch in der Dose gibt es Kultur für den extravaganten Geschmack.

An den Tagen, an denen diese Geschichte spielt, war die Dose normalerweise geschlossen, da sie noch nicht zum Museum für Moderne Kunst von Santa Cruz de Tenerife gehörte. Die Einwohner der Hauptstadt kennen diese Struktur als El Tanque. Das gesamte Gebäude ist nichts anderes als ein großer Öltank, der schon lange stillgelegt ist. Ein Korken von kosmischen Ausmaßen mit einem drehbaren Transportarm an der Spitze. In der Vergangenheit floss Rohöl in die große Dose durch diesen Arm, der über der dicken, schwarzen Kohlenwasserstoffsuppe schwebte. Obwohl das Gehäuse gründlich gereinigt worden war, lagen noch immer immer die chemischen Düfte in der Luft, die der fossile Brennstoff von sich gab.
Im Inneren des Tanks schnippte der Regisseur mit den Fingern.
„Habt ihr es gehört?“, sagte er, als sein Blick sich in den geschwungenen und metallischen Wände verlor. Der Nachhall schien endlos.
„Das Geräusch braucht fast zwanzig Sekunden, bis es erlischt“, erklärte er entzückt.
Das war ein schwieriges Problem für die Tontechniker, die sich beschwerten, dass es unmöglich sei, die Stimmen der Schauspieler in einer solchen Atmosphäre zu erfassen, worauf der Regisseur antwortete:
„Ich hab‘s! Wir werden jedem Darsteller ein Mikrofon neben seinem Mund platzieren. Und die Designabteilung wird ein futuristisches Gerät dazu bauen, um sie zu verstecken. Im Skript können wir schreiben, dass dies tragbare Luftreiniger sind.“
Der Film erzählte von der radioaktiven Verwüstung auf der Erde, und der Tank spielte die Rolle eines Raumschiffs, das aus einem verwundeten Planeten entkam und eine Bande seltsamer Gestalten in sich trug.
In der letzten Szene des Films war es notwendig, einen künstlichen Strand im Inneren des Schiffes nachzubilden. Um dies zu tun, beschlossen sie, einen Lastwagen voll Sand vom goldenen Strand von Las Teresitas zu holen.
Da begann das Problem, denn dieser Sand wurde zuvor aus der Sahara importiert, zuerst in den 1970er und dann in den 1990er Jahren. Und die Ladung enthielt neben Sand auch ein paar afrikanische Kreaturen, insbesondere Skorpione. Es war ein Zufall, dass der zum Set transportierte Sand eine besonders große Anzahl dieser Arthropoden hatte, die im Tank eine Anpassung an ihre neue Umgebung entwickelt hatten, bestehend aus einem halluzinogenen Toxin. Zumindest wurde das später so behauptet.

Hunderte dieser Kreaturen bewegten sich in der fast ewigen Dunkelheit von El Tanque, und es war unvermeidlich, dass viele Mitglieder des Teams, die aufgrund der Hitze in Flip-Flops herumliefen, auf die Skorpione traten. Diese reagierten, wie es ihnen angeboren war, und starteten automatisch ihre Stachel.
Ganz in der Nähe von El Tanque befinden sich einige bekannte Kaufhäuser. Der Regisseur, der auch Produzent war, hatte seinen Teams und verschiedenen Assistenten genaue Anweisungen gegeben, dort alles Notwendige für die Dreharbeiten jeder Nacht auszuleihen und am nächsten Tag zurückzugeben. Dies wurde Tag für Tag und Nacht für Nacht wiederholt.
Aber plötzlich kam niemand mehr, um die geliehenen Gegenstände zurückzubringen und die Rückerstattung der Leihgebühr zu verlangen. Es handelte sich um verschiedene Requisiten, Vasen, künstlichen Pflanzen, Bettwäsche, Geschirr, mehrere Designerleuchten und einige Möbel.

Als später die Mitarbeiter der zuständigen Behörde zur regelmäßigen Inspektion und Reinigung der Anlagen in den Tank eintraten, konnten sie sich nicht erklären, was hier passiert war. Filmausrüstung wie Kameras, Stative, Scheinwerfer und andere Geräte lagen auf dem Boden, auf einer zähflüssigen schwarzen Masse, aus der einige persönliche Gegenstände wie Stifte, Mobiltelefone oder Brillen herausragten. Keine Spur von den fünfzig Leuten, die die Filmcrew gebildet hatten. Der klassische Scherenstuhl, auf dessen Rückseite das Wort DIRECTOR zu lesen war, war scheinbar leer, aber wenn man nah genug kam, konnte man auf dem Sitz etwas sehen, was wie die Reste von ungewöhnlich großen Krebstieren aussah.
Ein bedeutender Insektenforscher kam nach Teneriffa, um die Fakten zu klären, und erklärte später, dass Spinnentiere, zu denen auch die Skorpione gehören, ihre Opfer auflösen und in einen nahrhaften Saft umwandeln können, bevor sie sie buchstäblich austrinken. Sie tun es mit anderen Arthropoden, wie z.B. Insekten, und es bleibt nur deren leeres und trockenes Exoskelett zurück. Da den Menschen ein Exoskelett fehlt, besteht die Möglichkeit, dass die gesamte Filmcrew aufgelöst und verdaut wurde, was die zähflüssige Substanz erklären würde, die den Boden von El Tanque bedeckte, als die Tragödie entdeckt wurde.
Es gab jedoch noch einen weiteren Umstand, der bei den Ermittlern einen Verdacht weckte: Alle Speicherkarten der Kameras wurden gelöscht. Zum Zeitpunkt dieses rätselhaften Verschwindens der Filmcrew war die Zone von El Tanque das Zentrum eines Skandals im Zusammenhang mit städtischen Spekulationen, und die Kommunalwahlen standen kurz bevor. So haben die verschiedenen Untersuchungsberichte nie ausgeschlossen, dass die genetische Manipulation der Skorpione in einem Büro mit unehrlichen politischen Absichten entwickelt wurde.
Hinter dem Tank stand ein luxuriöses Business-Hotel, dessen transparente Aufzüge wie Kolben einer gigantischen Glasmaschine auf und ab fuhren. Es existiert nicht mehr, da niemand die gigantische Rechnung bezahlt hatte, die während der Dreharbeiten entstanden war.
Es wird auch vermutet, dass eine heimliche Kopie des Films, der in El Tanque gedreht wurde, im Deep Web zu finden ist, aber sei wohl nicht einfach, sie zu finden, da der Preis nur in komplizierten Krypto-Währungen zu bezahlen ist. Und andere Berichte deuten darauf hin, dass der Regisseur nicht wirklich verschwunden ist, sondern seine Identität und Aussehen geändert hat, um woanders Filme zu drehen, aber nie mehr auf den Kanarischen Inseln.
So viel zu dieser unklaren Geschichte aus einer unklaren Vergangenheit. Für die Zukunft war Großartiges geplant. 2018 gewann ein Entwurf des Architekten Fernando Menis in Neu-Delhi einen „Global Architecture and Design Award“. El Tanque Botanical Garden: Das Gelände rund um den Tank sollte mit 700 Bananenstauden in einen Park verwandelt werden, der an die ursprüngliche, landwirtschaftlich geprägte Nutzung dieses Gebiets erinnern soll. Entlang der Mauern sollten Zypressen eine immergrüne, 20m hohe Umrandung bilden. Ein solcher Erholungspark, verbunden mit dem kulturellen Angebot der Veranstaltungen im Tank, sollte die damals recht traurig aussehende Umgebung bedeutend aufwerten. Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet die Ehefrau dieses Architekten, Dulce Xerach Pérez, die Vorsitzende de Vereins „Freunde von El Tanque“ ist?



(Fotos: re-thinkingthefuture.com)
Die kanarische Regierung, die Inselregierung und die Stadt Santa Cruz sollten 234 545 € für den Park und die 1 385 644 € für notwendige neue Gebäude bereitstellen.





Auf der anderen Seite gab es auch Stimmen, die seit Jahren für den sofortigen Abriss des Tanks plädieren. Die Vereinigung der Grundbesitzer „Los Llanos para Vivir“ verlangte von der Stadt, das hässliche Ding zu entfernen, da es vernachlässigt und als Kulturzentrum viel zu wenig genutzt würde und ein Schandfleck für die ganze Umgebung sei. Tatsächlich hatten am Tank des öfteren Saufgelage stattgefunden, mit der Folge, dass sich immer mehr Müll ansammelte. Daraufhin wurde eine Putzaktion gestartet, worüber sich wiederum die „Freunde von El Tanque“ freute.





Kultur im Tank, das war die revolutionäre Idee, das erste Mal überhaupt, dass auf den Kanaren ein ehemaliges Industriegebäude auf diese Art umgewidmet wurde. Aber es fanden tatsächlich viel zu wenige Veranstaltungen dort statt. Das Festival KEROXEN ist eine davon und präsentiert an ein paar Tagen im Jahr revolutionäre moderne Musik und audiovisuelle Extravaganzen. Als Sitzgelegenheit für das Publikum dienen blaue, zerbeulte Ölkanister.
Eigentlich ist der Tank für solche Veranstaltungen gar nicht zugelassen, sondern nur für Ausstellungen. Für das Musikfestival, das seit 2009 stattfindet, muss jedes Mal eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden. Die 40 000 m³ verwandeln sich in ein surrealistisches Szenario von Licht und Ton mit überraschenden Effekten.
Andere avantgardistische Events und ausgefallene Aktionen experimenteller Kunst fanden in unregelmäßigen Abständen dort statt. Die offizielle Internetseite der kanarischen Regierung spricht von einer „postmodernen Kathedrale“.





Vor dem Tank liegt ein ehemaliger „Finger“, eine Fußgängerbrücke, die einst im Hafen von Santa Cruz verwendet wurde. Der Zugang ins Innere des Tanks erfolgt durch eine riesige rostige Schwingtüre. Danach führt eine gekurvte Rampe ins Innere des Objekts. Drinnen ist es fast stockdunkel, bis auf ein paar futuristische Lampen aus blauen Ölkanistern.



Es war die Nummer 69 von insgesamt rund hundert Öltanks einer Raffinerie aus den 1930er Jahren. Als die Ölfirma Cepsa 1995 begann, die Tanks abzubauen, mussten sie eine große Menge Metall verschenken. In den Häusern der Umgebung findet man heute noch Konstruktionen mit Bauteilen aus Metall, die von diesen Tank stammen. Der damalige Inselpräsident Adán Martín erreichte einen Vertrag mit der Raffinerie, einen dieser Tanks stehen zu lassen. Er wurde gereinigt und am 11. Juli 1997 offiziell für die Öffentlichkeit geöffnet. Der erste Event fand am 27. Juli 1997 statt, dem 200. Jahrestag der erfolgreichen Schlacht gegen die britische Invasion unter Führung von Admiral Nelson. Diese Kunstaktion trug den Namen „Die Engländer, die Engländer“, dabei wurde eine Nachbildung des Arms von Nelson in einem Aquarium installiert. Angeblich hatte Nelson ja bei dieser historischen Schlacht einen Arm verloren.

Die folgenden Jahre waren nicht leicht für die Liebhaber der Kultur im Tank. Immer wieder wurde der Abriss der hässlichen Thunfischdose gefordert. Schon am 1. September 1998 sollte das passieren. Aber ein für den 10. Oktober geplanter Auftritt des Sinfonischen Orchesters von Teneriffa konnte den Termin noch einmal verschieben. Das Konzert endete mit einem großartigen Erfolg. 1600 Personen waren begeistert von den Toneffekten. Statt wie in einem Konzertsaal üblich mit weniger als zwei Sekunden, hält das Echo im Tank 17 Sekunden lang an. Und der Tank blieb stehen, wenn auch viele Jahre lang ungenutzt.
(Foto: Candeaser.com)
Ein Lichtblick kam im Jahr 2014, als die kanarische Regierung offiziell den Tank zum Industriedenkmal erklärte. Der Abriss wurde damit komplizierter. Die Häufigkeit der Veranstaltungen im Tank hat seither stetig zugenommen. Die Gruppe Mokele Mbembe brachte die Bananen schon mal zum Qualmen:
Maßnahmen zur Modernisierung oder Verschönerung der Umgebung wurden aber lange nicht vorgenommen. Erst im Oktober 2021 wurde der Park nach zehn Monaten Bauzeit endlich Wirklichkeit. Für eine halbe Million Euro wurde das Gelände umgestaltet. Bananen, Zypressen und Flammenbäume wurden gepflanzt, der Tank neu gestrichen, die Beleuchtung erneuert. Nach 25 Jahren hat die Kultur im Tank endlich eine würdige Umgebung bekommen. Es entstand ein üppig grüner Bananenpark.




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Artikel-Nr. 26-21-122
Servus, danke für den Beitrag. Ist sehr Interessant! Grüße aus Bayern
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