Geisterinsel

Die Legende von San Borondón.

Eine Insel, die auftaucht und wieder verschwindet, die zum Greifen nah ist und doch nie erreicht wurde, ist wahrlich ein Grund für allerlei geheimnisvolle Geschichten. Sie existiert auf alten Karten und war das Ziel vieler Expeditionen. War San Borondón ein Teil der Kanaren? Teneriffa vielleicht? Oder war es ganz woanders? Oder vielleicht nur eine Einbildung von betrunkenen Seeleuten?

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Im Jahr 1953 titelte die Zeitung ABC: „Die geheimnisvolle Sireneninsel wurde wieder einmal gesichtet“, und 1958 stand im selben Blatt: „Die umherirrende Insel wurde zum ersten Mal fotografiert“. 550 km nordwestlich von El Hierro soll sie liegen, und 220 km südwestlich von La Palma. Sie soll eine beachtliche Größe haben, 480 km von Nord nach Süd und 155 km von Ost nach West, größer als alle Kanaren zusammen.

Schon im Altertum erzählte der griechische Philosoph Platon von einem mystischen Inselreich namens Atlantis, das nach einer Naturkatastrophe untergegangen sei.

Die eigentliche Geschichte beginnt aber in Irland, wo im Kloster von Clonfert, Galway, im Jahre 516 ein Mönch sich auf die Suche nach dem irdischen Paradies machte. San Brandán, der Seefahrer, war sein Name, und 14 andere Mönche begleiteten ihn auf seiner siebenjährigen Irrfahrt über die Meere. Die Erzählungen über diese Fahrt reisten lange durch Europa und wurden irgendwann im 10. oder 11. Jahrhundert schriftlich festgehalten in der Navigatio Sancti Brandani.

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Auf seiner langen Reise landete San Brandán schließlich in einem Meer voller Inseln. Die Identität dieser Inseln und insbesondere der mythischen Insel San Brandán war Gegenstand von vielen Spekulationen, möglicherweise war es die Insel Neufundland (Terranova), was Brandán vielleicht zum ersten Europäer machen würde, der in Amerika ankam. Vielleicht war es aber auch Island oder die Färöer, oder gar karibische Inseln, oder auch die Kanaren. Der Legende nach feierten die Mönche eine Auferstehungsmesse auf einer unbewohnten und völlig vegetationslosen Insel. Nach der Feier beschlossen sie, ein Lagerfeuer anzuzünden, um sich zu wärmen, und als sie um das Feuer saßen, bekamen sie Angst, denn die Insel begann sich zu bewegen. Sie eilten zu ihrem Boot und fuhren schnell davon. Die Insel war eigentlich der gigantische Fisch namens Jasconius, und so entstand die Legende von der wandernden Insel in den Gewässern des Atlantiks.

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Auf vielen alten Karten ist sie verzeichnet. Paolo Toscanelli hat sie 1476 auf einer Karte eingetragen. Leonardo Torriani, Ingenieur des Königs Felipe II auf La Palma, hat ihr 1584 ein Relief gegeben. 1707 platzierte Guillermo Delisle die Insel auf seiner Karte des nördlichen Afrika irgendwo westlich der Kanaren.

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Der Vertrag von Alcazoba, der 1479 zwischen Spanien und Portugal unterzeichnet wurde, um das noch zu erforschende atlantische Gebiet aufzuteilen, legte klar fest, dass San Brandán, oder San Borondón „noch zu gewinnen“ sei und zum Kanarischen Archipel gehörte, der den Spaniern zugeschrieben wurde.

Als Magellan im März 1520 an einer Bucht in der Provinz Buenos Aires in Argentinien vorbeikam, glaubte er, dass diese durch die Loslösung der Insel San Borondón vom amerikanischen Kontinent entstanden war, und nannte sie die Bucht von Samborombón, wie sie heute noch heißt.

Portugiesische Seefahrer erklärten Ende des 16. Jahrhunderts, nach einem Sturm auf der Insel San Borondón gelandet zu sein. Sie sahen im Sand Fußspuren, die mehr als doppelt so groß waren wie ein normaler Fuß, ein Holzkreuz und Steine, die im Dreieck gelegt waren. Die Legende ging auf wie ein Teig im Ofen. Einige behaupteten sogar, dass der Sand an ihren Stränden mit winzigen Körnern aus reinem Gold vermischt war, und dass Edelsteine unter den Sonnenstrahlen leuchteten.

Auf den Kanarischen Inseln wurde der Mythos mit Begeisterung angenommen. Die Legende von San Borondón wurde so stark, dass im 16., 17. und 18. Jahrhundert mehrere Erkundungsexpeditionen starteten, um sie zu entdecken und zu erobern. Wegen ihrer seltsamen Eigenschaften und Verhaltensweisen, wie das Erscheinen und Verschwinden oder das Verstecken hinter einer dicken Schicht aus Nebel oder Wolken, wurde die Insel auch „die Unzugängliche“, „die Nicht Gefundene“, „die Unentdeckte“, „die Verlorene“, „die Verzauberte“ genannt. Die letzte von der spanischen Regierung subventionierte Expedition fand 1721 statt, durchgeführt vom Generalkapitän der Kanarischen Inseln, Juán de Mur y Aguirre, der sich sicher über eine neue Hütte auf einer Insel gefreut hätte, die unter seinem Kommando stand.

Dem Namen San Borondón begegnet man jedenfalls an vielen Orten auf Teneriffa. Eine Calle San Borondón gibt es in La Laguna, Santa Cruz oder El Fraile (Arona). In Fañabé ist es sogar eine Avenida, in Los Realejos aber nur eine schmale Fußgängergasse. In Puerto de la Cruz gibt es ein hübsches Hotel San Borondón, das einzige der Stadt mit einem Meerwasserpool.

Und was meint die Wissenschaft dazu? Dieses Foto von San Borondón findet sich in einem Artikel in tagorormeteo.es, es wurde am 3. Juni 2019 aufgenommen.

Am Abend erscheint im Osten von La Palma die schemenhafte Silhouette der verzauberten, unentdeckten Insel. Natürlich haben die Meteorologen eine Erklärung dafür. Es war ein Tag mit Calima, und der in der Luft enthaltene Staub wirkt wie eine Leinwand, auf die der Schatten des Teide projiziert wird. Ein optisches Phänomen, das dem Geheimnis der Geisterinsel neue Nahrung bringt.

Auch Wolkenmassen über dem Meer, zwischen denen sich im flachen Licht helle und dunkle Effekte ergeben, können die Existenz einer Insel vortäuschen. Nebelbänke oder Luftspiegelungen sind weitere Erklärungen. Doch nichts davon wird die Legende von der unentdeckten achten Insel, der Geisterinsel San Borondón auslöschen, vielleicht eine der außergewöhnlichsten Geschichten, die es auf den Kanaren gibt. Überall gibt es geheimnisvolle Geschichten, die seit Generationen erzählt werden. Und das ist nichts Schlechtes.

P.S. Seit Juni 2018 gibt es tatsächlich eine Insel mehr, denn La Graciosa wurde offiziell als achte kanarische Insel anerkannt. Dort gibt es zwar noch keine asphaltierten Straßen, aber sie existiert wirklich.

Bilder: *1) hemerotecaabc.es, *2) wikipedia, deviantart.com, *3) blogspublico.es, *4) tagorormeteo.es


Artikel-Nr. 0-49-208

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