Unter der Decke

Wer hier lebt, weiß Bescheid. Wer als Besucher nach Teneriffa kommt, ist oft enttäuscht. Dicke Wolken, grauer Himmel – das ist doch kein Wetter, um in die Berge zu gehen. Doch der Eselsbauch ist nur von unten grau.
Als Eselsbauch („panza de burro“) wird hier die graue, flache Wolke bezeichnet, die oft Tage oder Wochen lang an den Berghängen klebt, besonders im Norden der Insel. Wenn man Pech hat, ist sie den ganzen Tag da, meistens aber entwickelt sie sich überraschend schnell gegen Mittag. Früh morgens noch strahlend blauer Himmel, am Nachmittag dann bleigrauer Himmel, womöglich Nieselregen. Das ist der typischer Wetterablauf eines Sommertages auf der Nordseite von Teneriffa.

Die unmittelbaren Küstenzonen bleiben meistens in der Sonne, die im Juni fast senkrecht herunter brennt. Ein Stück landeinwärts spaziert man schon im Schatten, und wer hinauf fährt in den Kiefernwald, kann erleben, was „Horizontalregen“ bedeutet.
Schauen wir uns zuerst einmal die Ursachen an. Im Juni erreicht die Sonne ihren höchsten Stand am nördlichen Wendekreis (23,5°N). Ein Stück weiter im Norden bildet sich dann ein subtropisches Hochdruckgebiet, das in der Regel südlich der Azoren liegt, und deshalb auch als Azorenhoch bezeichnet wird. Gleichzeitig entsteht dann in der westlichen Sahara durch die große Hitze ein thermisches Tiefdruckgebiet. Auf dieser Karte ist das gut zu erkennen (A=Hochdruck, B=Tiefdruck).

Die Luft umströmt ein Hochdruckgebiet auf der Nordhalbkugel immer im Uhrzeigersinn. Deshalb wird ein konstanter Luftstrom entlang der westafrikanischen Küste von Norden nach Süden gelenkt, erkennbar an den kleinen Pfeilchen. Noch besser sieht man es auf den Strömungskarten von windy.com:

Dieser regelmäßige und gleich bleibende Nord- oder Nordostwind wird als Passat bezeichnet und war in früheren Zeiten ein verlässliches Klimaelement für die Überfahrt mit Segelschiffen nach Amerika. Der Passat bringt uns kühle Luft aus dem Norden, die lange über‘s Meer geströmt und deshalb relativ feucht ist. Er trifft direkt auf die Nordküsten der Inseln, im Süden ist er weniger zu spüren.

In dieser Karte sieht man die Windströmungen in ca. 600m Höhe, blau bedeutet eine geringe Windgeschwindigkeit. Zwischen den Inseln verstärkt sich der Wind (gelb oder lila). So hat man an der Ostküste zwischen Santa Cruz und Granadilla oft eine steife Brise, während im Westen bei Playa Santiago davon nichts zu spüren ist. Für den Norden hat die Situation aber ganz andere Konsequenzen. Dort trifft die Passatströmung auf deutliche Hindernisse. Besonders ungemütlich kann es auf der Nordseite der 900m hohen Anaga-Gebirgskette werden, die sehr plötzlich aus dem Meer emporsteigt. Dort kommt es zu einer starken Wolkenbildung bei kräftigem Wind. Ähnliches gilt für die Westspitze der Insel im Teno-Gebirge.

Im Bereich von La Orotava oder Icod ist die Situation etwas anders. Dort ist die Landschaft nicht so steil und die Luft kann langsam aufsteigen, es ist nur gering windig. Aber dafür bildet sich um so hartnäckiger der berühmte Eselsbauch. Noch dazu ist das Tal von La Orotava auf drei Seiten von steilen Bergflanken begrenzt, die wie ein Kamin die Luft nach oben lenken.

Die feuchte Luft kühlt sich beim Aufsteigen langsam ab, und ab einer bestimmte Höhe kommt es zur Kondensation, d.h. zur Wolkenbildung. Die Untergrenze dieser Wolkenschicht liegt in der Regel bei 800-1000m Meereshöhe, doch sie ist nicht besonders dick. Je nachdem wie warm die darüber liegende Luftschicht ist, kann man schon in 1200m, oder auch erst in 1500m Höhe strahlende Sonne und blauen Himmel genießen. Im Juli und August kann der Eselsbauch auch schon mal etwas weiter nach unten gedrückt werden.
Über der Decke.

Von oben ergibt sich ein ganz anderes Bild. Das Wolkenmeer ist von vielen Aussichtspunkten aus ein herrlicher Anblick. Der Teide selbst spielt bei dieser Wetterlage überhaupt keine Rolle. Ihm ist alles egal, was sich da unten abspielt. Die Wolkenobergrenze ist verbunden mit einer deutlichen Temperaturumkehr, die höchsten Temperaturen werden dann im oberen Kiefernwald zwischen 1600m und 2000m Höhe gemessen. Dort kann es im Sommer durchaus mal 35°C haben, während man im Nebel von Aguamansa auf 1000m Höhe bei 15°C fröstelt.
Doch unser manchmal so verhasster Eselbauch hat auch Vorteile. Er schützt uns vor der unerträglichen Sommersonne, und die Natur bedankt sich mit viel Grün. Er bringt uns das dringend benötigte Wasser, denn an den Kiefernnadeln fangen sich im Nebel Millionen von Wassertröpfchen, die langsam in den Vulkanboden eindringen. Nur so, durch den so genannten Horizontalregen, entstehen die reichen unterirdischen Wasservorräte Teneriffas. Diese werden in unzähligen Wasserstollen angebohrt und genutzt.
Lies nach z.B. in den Artikeln Geschichten von Wald und Wasser, Barranco de Añavingo oder Spurensuche.


Nur wenn die Berge hoch genug sind, können sich die Wolken bilden. Das Strömungsbild zeigt ganz deutlich, dass die Inseln Fuertenventura und Lanzarote keinen Einfluss auf den Wind haben. Sie sind zu niedrig, der Passat strömt einfach darüber hinweg, und deshalb erhalten sie viel weniger Feuchtigkeit.
Im Mai und Juni geht es wieder los. Der Passateinfluss kann bis Ende August anhalten. Nicht selten betrifft er auch den Flughafen Teneriffa Nord. Dort werden die Wolken zwischen dem Anaga-Gebirge und den Höhen von La Esperanza regelrecht zusammengedrückt und fegen heftig über La Laguna. Ganz schlimm war es am 3. August 2010: An einem Tag mussten 17 ankommende Flugzeuge nach Teneriffa Süd umgeleitet werden, vier Flüge konnten nicht starten, zwei Inselverbindungen wurden ganz abgesagt.
Die Statistik sagt, dass sich im Durchschnitt an 80% der Sommertage auf der Nordseite der Insel die Steigungswolke bildet. Bereits 1956 hat der Meteorologe Font Tullot das Phänomen beschrieben und statistisch erfasst. In seiner Tabelle sieht man in der Spalte 1 (3 tägliche Beobachtungen) die Häufigkeit des Wolkenmeers. Die zweite Spalte zeigt, dass in den Sommermonaten die Wolke an mindestens einer der drei Beobachtungen mit einer Häufigkeit von über 90% vorhanden ist. Die vorletzte Spalte gibt die Wolkenobergrenze an.

Der Eselsbauch löst sich im Laufe der Nacht in der Regel völlig auf, und so genießen wir die sonnigen Vormittage, den nachmittäglichen Schatten und die milden Abendtemperaturen, denn durch die Wolkendecke ist die nächtliche Abkühlung sehr gering.

Faszinierende Bilder, über der Decke.


Quellen: Strömungsbilder: Windy.com, Luftdruckkarte: Ogimet.com
Über ein anderes Klimaphänomen, die Calima, erfährst du hier etwas: Der Atem Afrikas.
Artikel-Nr. 0-16-68
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