Früher war alles schöner

„Es ist eine Schande, dass eine Stadt am Meer wie die unsere keinen Strand aufzuweisen hat, wo man im Meer baden kann. Um dem abzuhelfen, hat unsere Freundesgruppe beschlossen, eine Badeanstalt zu bauen und einen Strand einzurichten, und eine entsprechende Betriebsgesellschaft zu gründen.“
So formulierte es García Sanabria, der Bürgermeister von Santa Cruz de Tenerife, in einem städtischen Rundbrief.

Aktualisierungen siehe unten.
Santiago García Sanabria war ein Mann mit Weitblick. Er sah schon in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts voraus, dass auf Teneriffa und seine kleine Hauptstadt in der Zukunft ein großer Besucher- und Urlauberstrom zukommen könnte. Er war auch ein Mann mit einer sehr sozialen Einstellung und wollte vor allem auch für seine Mitbürger eine Möglichkeit schaffen, ihre zunehmende Freizeit am Strand verbringen zu können.
So begannen im Jahr 1928 die Bauarbeiten für eine Badeanstalt direkt nach dem Dorf Valleseco und neben der alten militärischen Verteidigungsanlage Bufadero, von der auch heute noch Reste zu sehen sind. Zwei Jahre später wurde das Gebäude feierlich eröffnet, ein imposantes Haus mit wenig Verzierungen, dessen Design an ein Schiff erinnern sollte. Der Entwurf des Architekten Domingo Pisaca Burgada trug wichtige Züge einer internationalen Bewegung in der Architektur, die nach dem 1. Weltkrieg als „Rationalismus“ bezeichnet wurde und in Italien entstand. Dieser Baustil setzte sich in den 30er Jahren fort. Santa Cruz ist eine der Städte mit den meisten Gebäuden des Rationalismus in ganz Spanien. So ist auch die 1934 eröffnete Deutsche Schule von Santa Cruz der rationalistischen Strömung zuzuordnen, ebenso wie das Casino Principal (1935) oder das Edificio de Estadística (1933), dessen Baukörper auch an eine Schiffsform erinnert.



(Fotos: arteyarquitectura.wordpress.com)
Viele dieser emblematischen Gebäude sind heute noch in gutem Zustand, was für die beliebte Badeanstalt am Strand leider nicht mehr zutrifft. Für mehrere Generationen von Santacruceros war das neue Badezentrum der Ort, wo man hinging, um Freunde zu sehen, um Sport zu treiben, schwimmen zu lernen, sich am Wochenende zu vergnügen, oder sogar die Sommerferien zu verbringen. Die Journalistin und Geschichtsschreiberin Dolores Hernández erzählt: „Es war ein beliebter sozialer Treffpunkt. Es gibt tausende von Erlebnissen und Erzählungen.“ Viele Familien in Santa Cruz können sich noch gut an diese Zeit erinnern. Es war der In-Treff dieser Zeit für die Jungen und Nicht-mehr-ganz-so-Jungen.
Die Badeanstalt wurde zur Wiege des Schwimmsports auf Teneriffa, und die ersten Schwimmwettbewerbe begannen schon 1934 im Olympiabecken. Bis 1965 gab es kein weiteres großes Sportschwimmbecken. Es gründete sich der Schwimmclub Balneario.
Alles lag direkt am Strand, es gab drei Schwimmbecken und einen Sportplatz. Der berühmteste international erfolgreiche Schwimmer Teneriffas kam aus dem hiesigen Schwimmclub. Zum ersten Mal verfügte die Stadt über ein öffentliches Freibad.
In den 50er Jahren besuchten zwischen Juli und September im Durchschnitt 700 Personen das Erholungszentrum, sie blieben 10 bis 15 Tage. Die Preise waren sehr erschwinglich, für ein Familienzimmer mit Vollpension bezahlte man 10 Pesetas, Einzelzimmer gab es für 15 Pesetas. Es standen knapp 200 Zimmer zu Verfügung. 1954 wurde das zweite Gebäude des Komplexes eröffnet, die Residencia José Miguel Delgado Rizo, das eigentlich zuerst als Hotel-Casino konzipiert war, dann aber ein typische Unterkunft für Arbeiter und Angestellte wurde. Auch Unternehmen wie z.B. Iberia schickten ihre Mitarbeiterfamilien dort zum Urlaub hin. Gewerkschaften organisierten internationale Arbeitertreffen.

Doch all dies ist Geschichte. Die Residencia wurde 1980 geschlossen, das Badezentrum machte 1992 die Pforten dicht. Es gibt keinen Strand mehr und das Meer ist weit weg. Die moderne wirtschaftliche Entwicklung der Stadt nahm ihrem Lauf, und die Ausweitung des Hafen war unausweichlich. Wo man früher Volleyball am Strand spielte, wo Familienfeste und Ballnächte gefeiert wurden, befindet sich heute das Container-Terminal. An der Hafenstraße stehen die Lastwagen Schlange, und dass hier irgendwo Wasser ist, vermutet man höchstens noch beim Schrei eine Möwe.






Zwischen riesigen Öltanks, der vierspurigen Stadtautobahn und den Containern, gleich neben einer Tankstelle, verrottet das ehemals so beliebte Badezentrum. Die Ruine ist zugemauert und eingezäunt, Fenster sind zerschlagen und Pfeiler zerbrochen. Wo früher Liegestühle standen und Blumenbeete angelegt waren, wuchert nur noch Unkraut. Die gesamte Anlage ist einsturzgefährdet.




Warum wurde nie etwas unternommen, um dieses architektonisch bedeutsame und historisch wertvolle Gebäude zu retten, das heute der kanarischen Regierung gehört? Für Dolores Hernández ist klar: „Es gibt keinen politischen Willen. Es sind mehrere Legislaturperioden vergangen, ohne dass Gelder, die von der EU zur Verfügung stehen, abgerufen wurden. Die verantwortlichen Politiker interessieren sich einfach nicht für ein altes Haus am Stadtrand.“ Bürger, die sich noch an die glorreiche Zeit erinnern, empfinden Trauer und Wut über das mangelnde Gespür für kulturelle Werte bei den verantwortlichen Politikern.

Im Jahr 2014 gründete sich eine Bürgerinitiative zu „Verteidigung des kulturellen Erbes von Santa Cruz“, die eine breite Unterstützung fand, sowohl durch namhafte Journalisten und Architekten, als auch im Plenum der Stadtverwaltung, und die in den Medien bekannt wurde. Ihr Sprecher äußerte große Bestürzung darüber, dass das Badezentrum abgerissen werden könnte, sollte es von der Regierung zur Ruine erklärt werden. Die Restaurierung würde viel weniger kosten als bei historischen Gebäuden aus dem 17. oder 18. Jahrhundert. Ideen für eine zukünftige Nutzung zu sozialen Zwecken gibt es genug.
Doch es passiert nichts – rein gar nichts. Nur der Zahn der Zeit nagt weiter.
Aktualisierung November 2017
Die Stadtverwaltung Santa Cruz hat nun einem Vorschlag der Anwohnervereinigung „Habla. Juntos por San Andrés“ zugestimmt, in dem ehemaligen Balneario ein Altersheim und einen Bürgertreffpunkt einzurichten. Die Stadt reichte ihre schriftliche Zustimmung an die Dirección General de Patrimonio der kanarischen Regierung und an das Instituto Insular de Atención Social y Sociosanitaria weiter, die für diese Angelegenheit zuständig sind. Die betreffenden Grundstücke sind bereits im Allgemeinen Ordnungsplan zur Nutzung für soziale und gesundheitliche Zwecke ausgewiesen.
Ob der bauliche Zustand des Gebäudes eine solche neue Nutzung zulässt, muss aber noch geprüft werden.
Aktualisierung November 2018
Die kanarische Regierung hat nun „haushaltspolitische Anstrengungen“ unternommen, um das alte Badezentrum von Santa Cruz zu retten. Zusätzlich zu den 1 Mio. Euro, die bereits für die strukturelle Verstärkung des Gebäudes vorgesehen waren, kommen noch 1,6 Millionen mehr für die Stabilisierung der Fassaden hinzu. Eine Rettung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes ist unaufschiebbar.
Die Ausarbeitung, Ausschreibung und Vergabe der Arbeiten wird sich aber voraussichtlich noch bis Ende 2019 hinziehen. Ob die Ruine diesen Zeitraum übersteht, bleibt nur zu hoffen. Was nach der Wiederherstellung damit geschehen soll, kann erst danach entschieden werden.
Dokumentarfilm
Am 12. Januar 2019 stellt Jesús Hernández den Dokumentarfilm Aquellos añorados años vor, in dem acht Personen zu Wort kommen, die in den goldenen Jahren dort gearbeitet oder zum Vergnügen dort waren. Neue Hoffnung?

(Foto: Diario de Avisos)
Aktualisierung November 2019
„Es gibt kein Geld, kein Projekt und keinen Auftrag. Wir haben den gesamten Prozess überprüft, und das Einzige, was es gibt, sind frühere Studien über die Struktur des Gebäudes, aber die eine Million, die 2018 angewiesen wurde, wurde nicht ausgegeben, ging verloren, und der Auftrag an Gestur, eine Million mehr zur Verfügung zu stellen, kam nie zustande.“ So beschreibt der Direktor der Abteilung für Koordination und Förderung der kanarischen Regierung die aktuelle Situation.
Wenige Tage nachdem über das Scheitern der Pläne in der Zeitung berichtet wurde, gab es ein neues Treffen der vier beteiligten Parteien, kanarische Regierung, Cabildo, Stadtverwaltung und Interessengemeinschaft. Man hofft, dass unter der neuen Regierungskonstellation wieder Bewegung in die Angelegenheit kommt, nachdem die alte Regierung ihr Versprechen nicht erfüllt hatte.

Aktualisierung September 2020
José Manuel Bermúdez, Bürgermeister von Santa Cruz, hat eine neue Idee: Das Balneario soll in ein Gesundheitszentrum umgewandelt werden. Da es im Besitz der kanarischen Regierung ist, traf er sich deshalb mit dem Vizepräsidenten, der das Anliegen prüfen lässt.



Das Balneario findet man direkt an der Ausfallstraße Avenida de Anaga, dort wo die großen Öltanks stehen, unmittelbar nach der DISA-Tankstelle. An der Tankstelle gibt es auch einen Durchgang durch den Zaun, der das Hafengelände abtrennt. Alternativ kann man die gesamte Zubringerstraße im Hafen bis zum Container-Terminal entlang fahren.

Gehe zu Google Map:
Auf Betreiben des Bürgermeisters Santiago García Sanabria wurde auch der große Stadtpark von Santa Cruz angelegt, der seinen Namen trägt. Hier kannst du den Park entdecken: Ein Sonntag im Park.
Artikel-Nr. 26-12-73