Das vergessene Dorf

Elf Steinhäuser und ein staubiger Weg.

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Das ist alles, was der Weiler Icor zu bieten hat. Die Zeit ist hier für immer stehen geblieben. Man merkt es an der Totenstille. Die kurvige Hauptstraße, die TF-28, führt am Dorf vorbei, selten fährt dort noch ein Auto und nur dreimal am Tag kommt ein Bus vorbei.

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Nur noch zwei Häuser sind bewohnt, alle anderen sind dem Verfall preisgegeben, und dies, obwohl der Ort schon im Jahr 1984 zum nationalen Kulturgut erklärt wurde. Doch dieser Erklärung der kanarischen Regierung folgten keine Taten und keine finanziellen Mittel, um das Dorfbild in seiner Gesamtheit zu erhalten.

Weder die Gemeinde Arico, noch die Inselregierung, noch die kanarische Regierung haben einen Euro zur Erhaltung des Dorfes beigesteuert, das nach und nach verfällt. Die Behörden glauben, dies sei Sache der Eigentümer. Doch die sind längst weg. Zudem hat die Denkmalschutzerklärung zur Folge, dass bei jeder Reparatur der alte Zustand erhalten bleiben muss und Veränderungen an den Gebäuden nur mit den traditionellen Baumaterialien erfolgen dürfen. Es sind aber nicht nur die strengen Vorschriften der Grund für den drastischen Einwohnerverlust.

Die Lage des Dorfes auf einem windigen, trockenen Bergrücken in 300m Meereshöhe, zwischen zwei tiefen Schluchten und abseits jeglicher Versorgungsmöglichkeiten, ist heutzutage nur noch etwas für Menschen, die die absolute Einsamkeit suchen. Ein paar Anwohner in der Nachbarschaft haben versucht, ihre Fincas für Ruhe suchende Urlauber herzurichten, aber auch damit ist kaum Geld zu verdienen.

Domingo Pérez Marrero, geboren in Icor 1936, ehemals Lastwagenfahrer, ist einer der vier Personen, die heute noch hier leben. Er wohnt im Haus Nr. 17, das schon seinem Urgroßvater gehört hat. Er hat seinen Ziegen- und Hühnerstall ausgebaut und das Dach wieder repariert, nachdem der Sturm Delta im Jahr 2005 große Schäden angerichtet hatte. Sein Haus ist eines der wenigen, das noch in gutem Zustand ist. Die Häuser nebenan mit den Nummern 13 und 15 gehören seiner Schwester, die in Santa Cruz lebt, und einem Vetter. Sie haben sich wenigstens so eingerichtet, dass sie ab und zu das Wochenende hier verbringen können.

Das Haus gegenüber gehört angeblich einem Deutschen, der sich aber nie im Dorf blicken lässt. In der Nummer 7 war einmal der Dorfladen, aber dort wird schon lange nichts mehr verkauft und dort wohnt niemand mehr. Die Besitzer sind schon vor langer Zeit nach Venezuela ausgewandert.

Die Häuser Nr. 3 und 5 sind nur noch Ruinen, die von Ranken und Blumen überwuchert werden, was wenigstens für das Auge einen malerischen Eindruck macht.

Im Haus Nr. 1 wohnen die anderen drei Einwohner, eine Frau mit zwei Kindern. Es gehört einer Familie, deren Nachkommen nicht mehr in Arico sind. Die Stadt würde das Haus kaufen, „wenn sich die Erben endlich über den Verkauf einig wären“, wie der Bürgermeister von Arico sagt.

Im Haus Nr. 4, das nach außen noch einen recht guten Eindruck macht, trifft sich gelegentlich die Nachbarschaftsvereinigung, die sich für den Erhalt des Weiler einsetzt. Sie bemängelt, dass die zuständigen Verwaltungen immer neue Hindernisse setzten, wenn etwas gemacht werden soll und überhaupt nichts unternehmen, um dieses historische Kleinod zu erhalten. Andererseits hat die Gemeinde schon vor zehn Jahren einen Reformplan vorgeschlagen, doch der Bürgermeister beklagt, dass dieser leider nicht die Zustimmung der Eigentümer gefunden habe. Und sie sind längst weg.

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Man weiß, dass es hier bereits vor der spanischen Eroberer eine Siedlung der Guanchen gab, denn es findet sich hier ein ‚tagoror‘, ein alter Versammlungsplatz, der später zu einem Dreschplatz wurde. Schon Mitte des 16. Jahrhundert erschien das Dorf in den Geschichtsbüchern, als sich eine Mischung aus Ureinwohnern und Kastilianern dort ansiedelte. Ein gewisser Gaspar Hernandez heiratete eine Tochter des letzten Mencey von Abona und gründete zusammen mit seinem Verwandten Francisco Hernandez das Dorf. Ende des 18. Jahrhunderts gab es etwa 20 Einwohner und 6 Häuser. Im Jahr 1904 zählte man 67 Einwohner und 11 Häuser, die größte Einwohnerzahl wurde 1960 mit 201 Personen erreicht. Chronischer Wassermangel in der Landwirtschaft, die Verlagerung des Verkehrs auf die Autobahn in den 60er Jahren, die wirtschaftliche Anziehungskraft von Santa Cruz und der Tourismus im Süden in den 70ern waren die Hauptgründe dafür, dass die Menschen den Ort verließen.

Am 23. Juli 2011 titelte die Zeitung Diario de Avisos: „Die Guanchen werden in Icor wieder auferstehen.“ Die neue Bürgermeisterin von Arico versprach in ihrem Wahlkampf, einen Plan für Icor aufzustellen. Namhafte Geschichtsprofessoren, Sachverständige und Architekten kamen zur Besichtigung. Ein archäologischer Lehrpfad zu den Guanchenhöhlen unterhalb des Weilers, ein Ökomuseum und die Restaurierung der Häuser, dies alles „könnte schon in drei Jahren Wirklichkeit werden“, wie der Oberste Wissenschaftsrat Agustín Guimerá damals meinte. Doch dies alles ist längst vergessen.

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Die Zukunft liegt woanders. Ein Stück unterhalb des Dorfes, im Bereich Vera de Abote, ist eine große Photovoltaik-Anlage in Betrieb. Der neue „Windpark ICOR“ mit elf Windrädern und einer Leistung von 23 MW befindet sich zur Zeit im Bau und wird ab Ende 2018 in Betrieb gehen.

Licht oder frischer Wind für das vergessene Dorf sind von diesen Projekten aber nicht zu erwarten.

Luftaufnahme:
Icor Luftaufnahme
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Ein Stück weiter südlich an der Straße nach Arico befindet sich ein weiteres schönes Dorf mit wunderschön erhaltenen Häusern: Arico el Nuevo – Ruhe sanft.

Aktualisierung Februar 2019

Das Dorf wird gerettet! Der Gemeinderat von Arico hat in Zusammenarbeit mit dem Cabildo ein interdisziplinäres Redaktionsteam beauftragt, das einen Sonderplan zum Schutz der historischen Stätte des Weilers Icor ausgearbeitet hat, der sich nun in der technischen Genehmigungsphase befindet.

Der Plan soll vor allem die bürokratischen und technischen Hindernisse beseitigen, mit denen sich diejenigen Anwohner konfrontiert sahen, die ihre Häuser restaurieren wollten. Auf diese Weise werden auch Aktionen oder Maßnahmen vermieden, die nicht mit der Umwelt und der historischen Umgebung harmonieren, oder nicht mit den Vorschriften des Denkmalschutzes übereinstimmen.


Artikel-Nr. 3-3-93

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