Mehr Vergangenheit als Zukunft …

… hat die Stierkampfarena von Santa Cruz, die am 30. April 125 Jahre alt wurde. Sie hat viel zu erzählen, aber was aus ihr wird, ist ungewiss.

Aktualisierungen siehe unten.
Der Stierkampf war auf den Kanaren nie wirklich so verwurzelt wie in den Städten und Gemeinden auf dem Festland. Seit 300 Jahren spielte diese Tradition keine Rolle hier. Es gab weder Stiere noch Stierkämpfer auf der Insel. Trotzdem musste eine Großstadt wie Santa Cruz natürlich eine Stierkampfarena haben, denn das war Ende des 19. Jahrhunderts groß in Mode. Und so wurde im Jahr 1893 vom Stadtarchitekten Antonio Pintor (er entwarf auch den ersten Plan für den Stadtpark, siehe hier: Ein Sonntag im Park) ein aus heutiger Sicht wenig bemerkenswertes Gebäude entworfen, das nur äußerlich einen neo-mudéjar- oder andalusischen Stil nachahmt. Einige Stilelemente wie z.B. die Fensterbögen sind nicht gemauert, sondern nur mit Zementputz verkleidet. Der Bau erntete auch viel Widerspruch in der Presse und der Bevölkerung, nachdem zwei Jahre zuvor schon in La Laguna eine Arena eingeweiht wurde.
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Viel war nicht los in der Hauptstadt Teneriffas in diesen Jahren. Dreimal pro Woche spielte die Kapelle des Infanterieregiments, ein paar Theateraufführungen oder Konzerte, selten mal eine Tanzveranstaltung im Casino. Ein Stierkampf war nun ein richtig großes Ereignis. Die Läden schlossen schon mittags, niemand wollte mehr arbeiten, überall in der Stadt kündigten große Plakaten schon Wochen vorher das Ereignis an, und lieber ließ man sich das Mittagessen entgehen als den Kampf. Vor den Toren stand man Stunden lang Schlange. Namhafte Toreros zeigten viele Jahre lang ihre Kunst, „Joselito“, „El Gallo“, „El Mejicano“, „El Cordobés“,… alle nicht aus Teneriffa stammend.
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Mit 76m Durchmesser konnte das kreisrunde Stadion 6800 Personen aufnehmen. Es stand ziemlich am Rande der Stadt, wo der Straßenzug der Ramblas, heute eine Hauptverkehrsstraße, noch eine weitläufige Landstraße war. Erst in den 1930er Jahren wurde dieser Stadtteil dichter bebaut.


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Obwohl der Architekt auf Grund einer städtischen Verordnung keine Holzkonstruktion verbaute, sondern mit innovativen Stahlelementen arbeitete, zerstörte am 1. Mai 1924 ein Großbrand das Gebäude fast komplett. Man vermutete, dass eine weggeworfene Zigarettenkippe das Feuer ausgelöst hatte, das in der Krankenstation ausbrach. Es fand gerade ein Bauerntanz statt. Die acht Bullen, die an diesem Tag zum Sterben verurteilt waren, wurden anschließend von der Guardia Civil erschossen. Erst drei Jahre später konnten nach umfangreichen Aufbauarbeiten wieder Stierkämpfe stattfinden.
Jahrzehnte lang ging es dann weiter mit den Stierkämpfen, oft mit großen Erfolgen und Ereignissen, bis in den 1970er Jahren das Interesse daran nachließ. Am 6. Januar 1984 fand der letzte Stierkampf statt. 1991 wurden Stierkämpfe dann durch die kanarische Regierung generell verboten. Die Kanaren waren die erste Autonome Region Spaniens, deren Tierschutzgesetz dies vorschrieb, die zweite war Katalonien, aber erst 2012. Kurioserweise wurden Hahnenkämpfe nicht verboten.
Gleich danach zog das größte Fest der Hauptstadt in die Arena ein: der Karneval. Zum ersten Mal fand 1985 die Wahl der Karnevalskönigin dort statt. Dafür wurden 5400 Eintrittskarten verkauft und 2000 Personen konnten die Show von den Rängen der Arena aus verfolgen.
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Ein Jahr später beschloss die Stadt, das nun zum Kulturzentrum umfunktionierte Gebäude mit einem Zeltdach zu überspannen, was in der Praxis eine große Herausforderung darstellte, denn solche Techniken waren noch nicht weit verbreitet. „Zeltdächer lösen alle Probleme auf den Kanaren, denn hier machen wir uns keine Sorgen um die Kälte, wohl aber wegen des Regens“, sagte damals der beauftragte Architekt Carlos Schwartz. Außerdem wurde in der Mitte ein rundes Dach zum Schutz der Bühne aufgebaut.
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Im damals einzigen Ort für große kulturelle Veranstaltungen fanden nun Boxkämpfe statt, oder der kanarischen Ringkampf, ab und zu ein politisches Meeting oder ein Freiluftkino im Sommer. Natürlich auch Konzerte von berühmten Gruppen und Künstlern, darunter Joe Cocker, Celia Cruz, Rubén Blades, Miles Davis oder Jerry Lee Lewis. Und viele Kinder lernten dort das Rollschuhlaufen.

Doch das Gebäude bekam nun immer mehr bauliche Mängel, 100 Jahre waren seit seiner Eröffnung vergangen, und Ende der 90er Jahre war seine Glanzzeit endgültig vorbei. Nach der Schließung kam der Verfall, auf den Tribünen machte sich das Unkraut breit.

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Im Jahr 2006 übernahm eine Firma namens Alicnur 80% der Anteile der Vermögensgemeinschaft. Die Stierkampfarena war verkauft. Das wurde einerseits als „frischer Wind“ gesehen, aber man fürchtete auch den Komplettabriss.



Die Stadt hat daraufhin einen Ideenwettbewerb ausgerufen, um dem ganzen Bereich um die Arena neues Leben einzuhauchen, dabei sollte der Nutzen für die Öffentlichkeit und die Erhaltung der historischen Fassade im Vordergrund stehen. Es gab zahlreiche Beispiele für eine solche Umstrukturierung in anderen Städten. Gewonnen hat ein Vorschlag, der aus der „Plaza de Toros“ eine „Plaza de Todos“ machen wollte, mit Wohnungen, einem Parkhaus und Freizeiteinrichtungen. Für letztere waren 2325 m² verplant, 1425 m² für Ladengeschäfte, 1840 m² für Büros, und auf 5520 m² sollte ein 12-stöckiges Wohnhaus mit Parkhaus entstehen. Das untere Stockwerk sollte geöffnet werden, um einen Zugang von der Rambla aus zu ermöglichen.
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So sollte es in den Flächennutzungsplan der Stadt eingehen. Doch Jahre lang passierte nichts, denn dieser wurde erst 2013 verabschiedet und beinhaltete zahlreiche Änderungen in diesem Viertel. Ein Vorschlag der Inselregierung, die Arena in den Denkmalschutz aufzunehmen, verlief ebenfalls im Sande. Fenster und Türen wurden nach Aufforderung durch das Stadtplanungsamt von den Eigentümern zugemauert, um die Sicherheit der Ruine zu garantieren.
Die Sache bleibt kompliziert, denn sowohl das Gebäude als auch das dreieckige Gelände darum herum, das ebenfalls betroffen wäre, ist auf eine Vermögensgemeinschaft mit mehr als 40 Eigentümern verteilt, der größte Anteil gehört der Familie Hafner. Rafael Martín, der damalige Spitzenvertreter des Mehrheitsaktionärs Alicur, schlug vor, das Gebäude zu vermieten – an wen auch immer, Hauptsache es bestünde Interesse. Doch Martín trat im August 2014 zurück und im Februar 2015 wurde Alicur für insolvent erklärt.





Der letzte Akt des Trauerspiels stammt aus dem Jahr 2016, als eine Bank, die BBVA, von einem der Eigentümer eine Schuld von 217.584,60 € einforderte, die dieser nicht bezahlen konnte. Daraufhin ordnete das Oberste Gericht der Provinz Santa Cruz die Versteigerung eines Teils der Fläche an, mit einem Startpreis von 2.016.885 €.
Der Zahn der Zeit nagt inzwischen weiter am einstigen Vorzeigeobjekt der Hauptstadt. Auf der Rambla drängen sich die Autos an einer Engstelle um die Arena herum. Niemand will, dass sie verschwindet, aber eigentlich ist sie ein Hindernis, aber das will niemand hören. Ihr 125. Geburtstag ist jedenfalls kein Grund zum Feiern.
Direkt an der Rambla liegt nicht weit entfernt das angenehmen Hotel Colon Rambla:


Aktualisierung Juli 2018
Zwei neue Projekte zur Sanierung und Integration in die Stadt wurden jetzt beim Stadtplanungsamt angemeldet von der Familie Hafner, Eigentümerin von mehr als der Hälfte der Anteile an der Stierkampfarena. Beide konstruktiven Ideen sind an das angepasst, was im Sonderplan für das Viertel enthalten ist. Eine Tiefgarage, ein öffentlicher Platz, Freizeiteinrichtungen und Wohnungen sind der Schlüssel zu beiden Projekten. Eines davon soll einen Teil der Fassade zur Rambla hin öffnen.
Dadurch würde ein breiter Eingang in die Arena entstehen, und die scharfe Kurve an der Allee würde entfallen. Geplant ist auch eine Fußgängerzone. Cristóbal Hafner erklärt: „Die Stierkampfarena soll ein öffentlicher Platz bleiben und es sollen Freiräume geschaffen werden“. Er stehe bereit, die nötigen Prozesse in die Wege zu leiten, sobald es grünes Licht für die Ideen gibt.
Baubürgermeister Tarife ist dem Plan sehr zugeneigt, aber in dem durch den Sonderplan geschützten Viertel Los Hoteles „brauchen wir für jede Entscheidung die Zustimmung der Inselregierung und müssen Hand in Hand mit dem Denkmalschutz gehen.“
Es wird noch ein langer Weg sein, bis alle technischen und verwaltungsrechtlichen Schritte durchlaufen sind. Aber es ist wenigstens eine gute Nachricht, dass es wieder einen solchen Vorstoß gibt.
Aktualisierung Juli 2020
Noch immer verfügt das Bauwerk nicht über den Status eines schützenswerten Kulturguts, noch immer gibt es keinen politischen Konsens über eine mögliche zukünftige Nutzung, und der Sonderplan für das Viertel ist nicht mehr gültig, nachdem der Allgemeine Bodennutzungsplan der Stadt durch das Gericht für nichtig erklärt wurde und neu ausgearbeitet werden muss.
Vorschläge gibt es trotzdem, so wie jetzt von einer Architektengruppe publiziert (https://www.hespericos.es/la-plaza-de-toros-un-edificio-historico-singular-que-merece-su-integra-conservacion/).




- Wiederherstellung der Wände, mit den dekorativen Elementen, den Farben und den originalen Holzarbeiten
- Überdachte Randgalerie, mit der Möglichkeit, in den oberen Stockwerken Zimmer für ein Hotel oder Wohnungen einzurichten.
- Tribünen und Eingänge könnten als Einkaufszentrum genutzt werden, mit einem Rundgang und öffentlichem Zugang zum Innenraum.
- Die ehemalige Arena als öffentlicher Platz, darunter eine Tiefgarage mit mehreren Stockwerken.
- Fußgängerzone mit Verbindung zur Rambla und unter Einbeziehung des benachbarten Wasserreservoirs.
Aktualisierung November 2021
Die Opposition im Gemeinderat brachte im Juni 2021 das Thema wieder einmal ins Plenum und forderte eine Eingliederung in den historischen Komplex Los Hoteles-Pino del Oro. Techniker des Cabildo analysierten das Projekt und gaben im November 2021 grünes Licht. Die Pläne der Eigentümer wurden weitgehend berücksichtigt. Der Inselrat für historisches Erbe sah es aber als Bedingung an, dass die Fassade als entscheidendes architektonisches Element erhalten werden muss. Auch andere Kleinigkeiten wie schmiedeeiserne Gitter und Lampen sollen nicht verschwinden. Das geplante sechsstöckige Gebäude soll die Fassade nicht überragen. Neue Bauelemente solle an die ehemaligen Tribünen erinnern. Über den Baubeginn ist jedoch noch nichts bekannt.
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Bildnachweise:
1,2,5: manuelmoramorales.wordpress.com
3,4: garciabarba.com
6,7: laopinion.es
8: eldia.es
In den 60er Jahren, zur Zeit des ersten Touristenbooms, gab es sogar in Puerto de la Cruz eine Stierkampfarena – mit mäßigem Erfolg: Kurze Geschichte einer Ruine.
Zwei weitere sehenswerte Orte der Stadtlandschaft liegen ganz in der Nähe: Der Parque García Sanabria Ein Sonntag im Park und die Plaza de los Patos Von Enten und Fröschen.
Artikel-Nr. 26-18-105
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