Guagua

Was für ein Wort!?

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Wer zum ersten Mal auf die Kanaren kommt, lernt es schnell. Die Busse heißen hier Guaguas, und wer Bus, Autobus oder Omnibus sagt, entlarvt sich schnell als „Guiri“, als Fremder.
Doch woher kommt eigentlich dieses seltsame Wort?

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Das ist eine lange Geschichte. Ganz sicher ist, dass kanarische Auswanderer den Begriff im Gepäck mitbrachten, als sie von Cuba zurückkehrten. Nicht nur Aussprache und Satzmelodie eines Canario haben viel mehr Ähnlichkeit zu der eines Kubaners als zu der eines Spaniers vom Festland, es sind auch viele Wörter hier im Sprachgebrauch, die ursprünglich aus der Karibik stammen.

Als in Santa Cruz in den 1920er Jahren ein öffentlicher Personentransport eingeführt wurde, nannte man diese Fahrzeuge „Jardineras“, ursprünglich eine Bezeichnung für eine bestimmte Art von Kutschen. Es waren offene Wagen mit einem Dach und Platz für etwa 10 Personen, die motorisierte Variante der von Pferden gezogenen „Ripperts“. Der Begriff „Jardinera“ wurde aber bald durch das beliebtere Wort „Guagua“ ersetzt, für dessen Ursprung es viele Theorien gibt.

(Bilder: canarizame.com)

Die häufigste ist diese: Der amerikanische Autohersteller Washington & Walton Co. Inc. lieferte um das Jahr 1890 Autobusse nach Cuba, auf denen die Abkürzung Wa & Wa zu lesen war. Aus dieser soll dann das Wort Guagua entstanden sein. Doch eine solche Firma hat es nachweislich nie gegeben und es gibt weder Bilder noch Zeichnungen, die eine solche Abkürzung belegen. Trotzdem hält sich hartnäckig die Geschichte, die ein Autor vom anderen abschreibt. Außerdem wurde der erste motorgetriebene Omnibus 1895 in Deutschland von Carl Benz gebaut.

Plausibler klingt die Erklärung, dass es sich bei dem Wort Guagua nur um eine phonetische Anpassung des amerikanischen Wortes wagon handelt, so hießen in den Vereinigten Staaten die großen Langstreckenbusse, die das Land durchquerten. Und so heißen heute noch die Schulbusse, weil dafür ursprünglich auf dem Land bäuerliche Transportwagen, wagons, verwendet wurden. Diese Transporte waren gratis oder sehr billig.

Billig oder umsonst irgendwo hin zu fahren, dieser Hinweis führt zu einer anderen Bedeutung des Wortes guagua. In vielen älteren Texten finden sich Informationen über den Zusammenhang des Begriffs mit der Tatsache, dass man in einem Transportmittel kostenlos unterwegs ist. Wir wissen, dass im siebzehnten Jahrhundert der Buggy aus Spanien eingeführt wurde und dass dieses Medium der Favorit der ersten Damen für ihre Ausflüge war. Bis 1800 wurden in Cuba mehrere Busunternehmen gegründet, die von Pferden oder Maultieren gezogen wurden, sowie Sammeltransporte für Ausflüge in nahegelegene Städte. Doch warum gratis?

Dazu muss man nach Südamerika schauen. In Chile, Ecuador und in anderen Ländern der Anden ist guagua ein Wort für Kleinkinder. Es stammt aus der Quetschua-Sprache und wird manchmal auch huahua geschrieben. Man weiß, dass die spanische Regierung von Peru während der Kolonialzeit angeordnet hatte, dass Veranstaltungen und öffentliche Verkehrsmittel für Kinder unter sechs Jahren kostenlos sein sollen. Wenn ein Erwachsener nicht bezahlt hat, sagte man „va de guagua“, er fährt umsonst.

Man weiß auch, dass während dieser Zeit und bei der Durchführung von zivilen und militärischen Arbeiten in Kuba die Arbeiter es sich nicht leisten konnten, die hohen Transportkosten zur Arbeit zu tragen. Aus diesem Grund wurde eine offizielle Verfügung erlassen, damit sie für das Ticket nichts bezahlen mussten. Ein spanischer Offizier, der aus Peru nach Kuba kam und für die Einhaltung des Befehls verantwortlich war, sagte den Eigentümern der Transportunternehmen: „…. dies ist eine militärische Verteidigungsarbeit, und Sie haben die Pflicht, der Regierung zu helfen, indem Sie die Arbeiter „de guagua“ mitnehmen…“. Also: gratis.

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Bis heute wird in Cuba und in fast allen südamerikanischen Ländern der Ausdruck „de guagua“ synonym für gratis oder sehr billig verwendet. Und da die Transportmittel sehr oft völlig überfordert sind, hängt sich so mancher Fahrgast an den Türgriff oder die Anhängerkupplung und fährt „de guagua“.

Man sagt auch „entrar de guagua“ für „umsonst reinkommen“, in Venezuela sagt man „vivir de guagua“, wenn jemand nur auf Pump lebt.

In vielen Texten Mitte des 19. Jahrhunderts ist dieser Sprachgebrauch dokumentiert, lange bevor die Amerikaner nach Cuba kamen. In Pinar del Rio gab es um diese Zeit sogar eine Zeitung mit dem Namen „La Guagua“. Und seit dieser Zeit ist das Wort ein gängiger Ausdruck für den Bus.

Die Revista de Cuba 1879, S. 463, definiert den Begriff:

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(Quelle: canarizame.com)

Die simpelste Erklärung ist allerdings diese: Die Busse hatten früher eine Hupe, eine Art Horn mit einem Gummiballon, den der Fahrer drücken musste. Und das hörte sich an wie gua gua gua. Noch bevor man den Bus sah, hörte man ihn schon und sagte: „da kommt die Guagua“.

Doch das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Eine ganz andere Spur führt nach Afrika. In der kongolesischen Sprache bedeutet „ngwa“ Frau oder Mutter, „wa ngwa“ bedeutet „als Frau“. Und es war üblich, dass Frauen bei Feierlichkeiten gratis dabei sein durften. Diese Tradition haben die afrikanischen Sklaven mit nach Cuba genommen, auch dort durften Frauen bei den sonntäglichen Tanzveranstaltungen gratis teilnehmen. Ein anderes Wort ist „awawá“, was „eilig“ oder „leicht zu bewegen“ bedeutet. So war es für viele schwarze Kubaner einfach, dieses Wort für die – verglichen mit einem Fußmarsch – doch deutlich schnellere und bequemere Fortbewegung im Bus zu benutzen, selbst wenn man Stunden dafür anstehen musste.

In Cuba gab es übrigens auch die größten Guaguas der Welt, es waren wahre Monster-Busse für mehr als 300 Passagiere, man nannte sie dort „Camellos“, Kamele, weil sie zwei Höcker hatten. Leider sind sie heute alle ausgemustert.

MetroGuagua

Auf die Kanaren kam jedoch nur das Wort. Und es entwickelte sich weiter. Der Busfahrer ist der „guagüero“. In Las Palmas gibt es bald eine „MetroGuagua“. Und in Teneriffa ist das Guagua-Fahren ab 2020 sogar auf einigen Linien billiger geworden – womit wir wieder bei der ursprünglichen Bedeutung wären. Ganz umsonst wird es allerdings nicht sein.

Nein! Nicht autobús! Se dice guaaaaguaaa!

@DandoCholaCanarias

Mehr über öffentliche Verkehrsmittel auf Teneriffa findest du hier: Der letzte Wagen.


Artikel-Nr. 0-37-163

3 Gedanken zu “Guagua

  1. Danke für die ausführlichen Erläuterungen und die schönen Bilder dazu. Am besten gefallen mir schon lange die liebevoll gestalteten Bushäuschen in El Tanque. Liebe Grüße aus der verregneten Heimat, könnte ich euch doch nur etwas davon rüberschicken….

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