So lebten die Reichen.

Sie waren im 18. Jahrhundert die einflussreichste Familie Teneriffas. Sie hatten enorme wirtschaftliche Macht, denn sie beherrschten den Handel und die Schifffahrt. Ihre zivile und religiöse Einbindung in das Leben der Insel gab ihnen eine unbestrittene Vormachtstellung in der Gesellschaft. Das Haus der Familie Carta in Valle de Guerra ist eines der am besten erhaltenen Beispiele ziviler Architektur der damaligen Zeit.

Don Matías Rodríguez Carta, geboren 1675 in Santa Cruz de La Palma, kam mit seinen Eltern, die im kanarisch-amerikanischen Handel reich geworden waren, als Kind nach Teneriffa und heiratete dort im Alter von 21 Jahren eine ebenfalls reiche Dame aus der gehobenen Gesellschaft.
(Bild: *1)

Die steinreiche Familie baute im Zentrum von Santa Cruz auf der heutigen Plaza de Candelaria den Carta-Palast und ein weiteres Haus genau gegenüber der Kirche Nuestra Señora de la Concepción. Sie wollten im öffentlichen Raum des damaligen Santa Cruz mit repräsentativen Gebäuden zeigen, welche Macht sie haben. Don Matías war außerdem Militärkapitän, sein Sohn wurde später der erste Bürgermeister von Santa Cruz. Die Cartas stellten sich gut mit der Kirche, spendeten Altäre, Kanzeln und Kleider, und bauten sich selbst eine prunkvolle Grabkapelle. Natürlich gehörten ihnen noch einige andere Immobilien in der Stadt, sie besaßen große Ländereien und mehrere Häuser in Geneto, Arafo und Valle de Guerra.
(Bild: *2)
Das Haus in Valle de Guerra ist heute als Casa de Carta bekannt. Am 14. Februar 1726 kaufte Carta das Haus und die Weinberge von Don Lope Fernández de la Guerra für 180 Reales. Für damalige Zeiten war das Anwesen riesig, es umfasste 12 Fanegadas und einen Almud (Dies sind lokale kanarische Flächeneinheiten, 1 Fanegada = 5248 m² , 1 Almud = 438 m² , zusammen also 63414 m² ). Carta schrieb später in sein Testament: Wir haben es auf unsere Kosten aufgebaut und umgewidmet, denn es war alles verloren, ruiniert und rückständig, und wir haben die Arbeiten von Häusern, Zisternen, Keltern und Weinkellern gemacht, und alles andere, wofür wir viele Reales ausgegeben haben.



Matías Rodríguez Carta starb 1743. Vier Jahre nach seinem Tod wird das Inventar geschätzt: Jacinto Hernández Perera und Juan Pérez Izquierdo, Baumeister, schätzen das Haus, die Keller und Ställe, das Butlerhaus, die Speisekammer, die Küche, die Decken, den Stein der Kelter und alles andere, auf 7.255 Reales. Die Zimmerleute Francisco Melián de Olivera und Antonio Pérez Chacón ihrerseits schätzen es auf 5.993 Reales.
Heute hat das Haus einen unschätzbaren Wert. Es ist jedoch nicht der reale Immobilienwert, sondern die Bedeutung als historisches Bauwerk und als eines der besten Zeugnisse der damaligen Lebensweise in der gehobenen Gesellschaft. Selbst seine Lage ist herausragend, an aussichtsreicher Stelle über dem Tal in der kleinen Straße Camino de Vino. Bemerkenswert ist, dass es nicht parallel oder senkrecht zur Straße gebaut wurde, sondern mit einer Ecke in diese hervorragt. So mussten die Passanten einen kleinen Bogen machen und sollten so die imposanten Ausmaße des Anwesens besser zu Kenntnis nehmen. Von innen konnte man außerdem in zwei Richtungen beobachten, wer hier vorbeikam. Die Mauer entlang der Straße mit dem heutigen Eingangstor wurde erst später dazu gebaut.




Das Haus ist die „reiche“ Version des elementaren kanarischen Hauses. Ein einfaches Bauernhaus ist zunächst in zwei Teile gegliedert: das eine ist das Haus, in dem die Familie kocht, isst und sich trifft; das andere ist das Schlafzimmer, in dem auch Besucher empfangen werden. Diese Räume, jeder mit einer eigenen Tür, sind im Inneren nicht verbunden, sondern von außen auf der Südseite, wo sich oft ein Sitzbereich befindet, wo man an kalten Tagen die Sonne nutzte und die kühle Brise an heißen Tagen, und wo an einer Pergola Pflanzen ranken, um bei Bedarf Schatten zu spenden. Dieses externe Verbindungselement wird später ausgebaut, wenn der Bauer ein Ochsenpaar oder einen Esel besitzt und etwas reicher wird. In Form eines L kommt dann ein Stall dazu, und zwar auf der Ostseite. Diese Konstruktion ist dann gut geeignet, um den Außenraum vor den vorherrschenden Nordostwinden zu schützen.
Die gleichen Konstruktionsmerkmale kannst du in einem Dorf entdecken, das heute nur noch in Ruinen liegt und auf einem anstrengenden Wanderweg zu entdecken ist: Las Palmas de Anaga.
Die reichen Familien konnten dann im Süden und Westen noch noch weitere Gebäudeteile anschließen, Schlafräume für Bedienstete, Vorratsräume und einen Küchentrakt. So entstand dann ein rechteckiges, großes Gebäude mit einem zentralen Innenhof. Ein oberes Stockwerk mit Wandelgängen und Aussichtsplattformen zeigte klar, dass man sich von der einfachen Bauernbevölkerung abheben wollte.
Der Grundrissplan, erstellt 1833 durch den Pfarrer Antonio Pereira Pacheco y Ruiz, zeigt die perfekte Konstruktion.
(Bild: *2)
AP = Acceso Principal, Haupteingang
APN = Acceso Panadería, Personaleingang
PP = Patio Principal, Innenhof
PS = Patio de Servicio, Hof der Bediensteten mit Zisterne
GM = Galería Mirador, Aussichtsgalerie auf der Talseite
1,2,3,4 = Wohn- und Schlafräume, vom Raum 2 führt eine Treppe auf die Aussichtsterrasse
18 = Speisezimmer
12 = Küche
15 = Bäckerei
11,14, 16,20 = Vorrats- und Arbeitsräume
9 = Weinpresse
Von der Aussichtsgalerie und der Terrasse hat man einen perfekten Blick über den Ort Valle de Guerra und die gesamte Landschaft bis hinunter zur Küste. In der Galerie auf der Nordseite hängt auch der Wasserfilter, eine Konstruktion aus einem ausgehöhlten Lavastein, hinter einem hölzernen Gitter. Hier versorgte man sich mit frischem Trinkwasser, gekühlt vom beständig wehenden Nordwind.


Besonders interessant ist die großzügige Bäckerei mit einer imposanten unverkleideten Dachkonstruktion, um den Abzug des Rauchs zu begünstigen. Der Ofen ist in seiner ursprünglichen Bauweise und Farbe erhalten. Es gibt eine Tür nach außen zu dem Bereich, in dem die Waren angeliefert und abgeholt wurden. Diese Tür und die Treppe sind besonders schmal, damit die Bauern gezwungen waren, Schlange zu stehen, und um Rangeleien zu vermeiden. An der Außenwand baute man sogar eine Bank, wo sich die Wartenden ausruhen und die Angestellten nach Feierabend den Sonnenuntergang beobachten konnten. Die innere Tür führte direkt zur Küche, den Vorratsräumen und dem Speisesaal.





In dem nach Süden ausgerichteten Hinterhof befindet sich die Zisterne mit einem Brunnen. Von dort führt eine Holztreppe ins Dachgeschoss, wo sich die Schlafräume der Angestellten befanden. Schatten spendende Weinranken machen den einstigen Arbeitsbereich heute zu einem lauschigen Plätzchen.





An der ehemaligen Werkstatt vorbei kommt man in den Außenbereich des Anwesens und bemerkt gleich den Wasserverteiler. Unterhalb des Haupthauses steht die riesige Weinpresse.




In den Nebengebäuden, die früher einmal Ställe waren, findet man eine Sammlung von Gofio-Mühlen.




Empfehlenswert ist auch ein Spaziergang durch den herrlichen Garten oberhalb des Hauses. Er ist liebevoll gepflegt und enthält viele exotische Blumen und Pflanzen. Man kann sogar unter einem künstlichen Wasserfall hindurchgehen.






Die Casa de Carta kam 1976 in den Besitz der Inselregierung und sollte eigentlich nach der Restaurierung zunächst dazu dienen, den Besuchern eine Kostprobe der ehemaligen ländlichen Residenz einer Familie von „kanarischen Adligen“ zu bieten, doch inzwischen ist es Sitz des Museums für Anthropologie von Teneriffa, eine Funktion, für die es nicht geeignet ist. Bauliche Veränderungen, wie die verglaste Einfriedung des Innenhofes, die Schließung einiger Räume für die Öffentlichkeit, die Nutzung anderer für Verwaltungs- und Arbeitsfunktionen, besondere Wege für Gehbehinderte, Beleuchtungen, Feuerlöscher und Schilder, das alles vermittelt leider eher den Eindruck eines Museums als den eines Wohnhauses. Hinzu kommen Ausstellungen von Töpferwaren, Korbflechtereien oder Kleidungsstücken, die nicht unbedingt hierher gehören.


Seit 2006 ist die Casa de Carta ein Nationales Kulturgut. Der Cabildo stellt die Casa in diesem Video vor:

Ein Besuch lohnt sich in jedem Fall, denn dieses Objekt ist von den großen Touristenströmen noch unentdeckt. Meist kann man alleine in aller Stille darin herumspazieren, es werden ausgedruckte Informationen in mehreren Sprachen angeboten. Es liegt direkt an der Hauptstraße TF-16 von Tacoronte kommend, kurz vor dem Ort Valle de Guerra, eine Haltestelle der Buslinie 057 ist direkt vor dem Eingang.
Bemerkenswert sind in der Umgebung die zahlreichen Felder, auf denen Strelitzien angebaut werden.
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Im Frühjahr 2019 begannen im Palacio de Carta in Santa Cruz die Arbeiten für das historische Museum, wann es eröffnet werden soll, ist noch unklar.
(Bild: *3)
Bildnachweise:
titelbild) lalagunaahora.com, *1) consultivodecanarias.com, *2) rinconesdelaltantico.com, *3) eldia.es
Einige schöne alte Häuser findest du in San Juan de la Rambla: 500 Jahre Geschichte.
Artikel-Nr. 17-10-114
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