Der Kanal ins Leere

Im Hochtal von Tierra del Trigo gab es einmal den einzigen Wasserfall Teneriffas, der das ganze Jahr über plätscherte. Er wurde künstlich angelegt und war Gegenstand kontroverser Diskussionen von Naturschützern, Geologen, Anwohnern und Sicherheitsbeauftragten. Seit April 2022 fließt kein Wasser mehr durch den Kanal zum Wasserfall.
In der Folge ist auch der Weg entlang des Kanals nicht mehr oft begangen worden und stellenweise komplett zugewachsen. Die hier beschriebene, schöne Aussichtswanderung ist deshalb nicht mehr möglich.



Trotzdem soll der Artikel weiter existieren, denn alles war einmal viel schöner.
Das Dorf Tierra del Trigo liegt auf rund 500m Höhe in einem halbkreisförmigen, schräg abfallenden Tal oberhalb von Los Silos, das von kleinen Barrancos durchzogen ist. Es ist über zwei Straßen erreichbar, entweder von El Tanque aus über die TF 423, oder über eine steile und sehr schmale Straße mit vielen Kurven von Los Silos aus. Ein Busverbindung mit TITSA nach Tierra del Trigo gibt es nicht, von Los Silos aus fährt jedoch dreimal täglich ein lokaler Bus hinauf ins Dorf.



Der Name des Dorfes bedeutet Weizenland. In diesem abgeschiedenen, in früheren Zeiten schwer erreichbaren Tal war die landwirtschaftliche Selbstversorgung der Bevölkerung unabdingbar, weshalb natürlich vor allem die Grundnahrungsmittel angebaut wurden. Heutzutage ist allerdings der Weinanbau die vorherrschende Nutzungsart und die Grundlage der örtlichen Wirtschaft. Von den drei Weinkellereien des Municipios von Los Silos liegen zwei im Ortsteil Tierra del Trigo. Der Ort hat etwa 320 Einwohner und eine Grundschule, sowie ein Landhotel.
Wanderung (ACHTUNG: So nicht mehr möglich)
Diese kleine Rundwanderung vermittelt einen schönen Eindruck von der alten Kulturlandschaft. Sie führt teilweise an einem stillgelegten Kanal entlang. Die Wanderung ist auch gut mit Kindern zu machen, weil sie abwechslungsreich, einfach und ungefährlich ist. Nur auf den letzten Metern des Abstechers zum Aussichtsfelsen sollte man Kinder gut überwachen.

Man stellt das Auto auf dem zentralen Platz des Dorfes ab. Auf der einen Seite des Platzes steht oberhalb die kleine Kirche, gegenüber befindet sich das Hotel Rural Finca La Hacienda. Der Beginn des Wanderwegs ist klar markiert mit einer Tafel und einem Wegweiser nach Cuevas Negras. Es ist der Weg PR-TF 53.1, dem wir allerdings nur ein Stück weit folgen werden.
Zunächst geht man auf einem Asphaltsträßchen recht steil bergauf, aber nur knapp 400m. Bei einem Sackgassenschild knickt die Straße scharf rechts ab und verläuft nun eben. Nach 100m kommt eine Linkskurve, und nach weiteren 200m muss man aufpassen, denn hier verlässt man die Straße und den ausgeschilderten Wanderweg. Nach rechts zweigt ein Feldweg ab, der ins Tal hinunter geht. Nach einem kurzen Stück sieht man einen alten Brunnen und vielleicht schöne kanarische Glockenblumen im Gebüsch.
Hier ist ein Artikel über diese schöne Blume: Canarina Canariensis.




Der Weg schwenkt nach rechts und führt auf der anderen Talseite weiter abwärts. 350m nach dem Brunnen sieht man auf dem Hang gegenüber bereits den weißen Kanal, an dem man später entlang gehen wird. Der Fahrweg macht hier eine Kurve nach rechts, aber man biegt auf einen kleineren Weg nach links ab. 200m weiter kommt man aus dem Buschwald heraus und befindet sich direkt am Anhang des Barrancos mit herrlichen Ausblicken. Man geht zunächst 100m geradeaus auf ein Gehöft zu, biegt dann aber scharf nach rechts auf einen Trampelpfad ab, der etwas steiler hinunter zum Kanal führt.




Die Fotos zeigen den Kanal, als er noch Wasser führte.
Von hier aus geht man immer am Kanal entlang. Wenn der Weg abgerutscht ist, geht man besser oberhalb des Kanals weiter.
Der Kanal endet dann unvermittelt. An dieser Stelle rauschte das Wasser einst über einen Wasserfall steil den Berg hinunter. Grünes Moos wuchs auf den Felsen zwischen den Wasserrinnen, die sich über den ganzen Hang verteilten.
Hier fragt man sich natürlich, warum ein solcher Kanal gebaut wurde, wenn doch danach das Wasser unkontrolliert und ungenutzt den Hang hinunter rauschte. Doch es hatte einen guten Grund: Das Wasser stammt aus dem unterirdischen Tunnelsystem der Galería del Cubo, und dort wurde eine Wasserquelle angebohrt, die sehr stark kalkhaltiges Wasser zu Tage führt, vermutlich wegen kalkhaltigen Gesteinsschichten im Untergrund, was auf einer vulkanischen Insel extrem selten vorkommt. Dieses kalkhaltige Wasser konnte nicht zur Bewässerung genutzt werden, deshalb nutzte man hier einen chemischen Prozess, nämlich das Ausfällen des im Wasser gelösten Kalks.






Die Fotos zeigen den ehemaligen Wasserfall.
Begünstigt wurde die Kalkausfällung durch die vergrößerte Verdunstungsoberfläche auf den Felsen, die Erwärmung des Wassers und durch den Bewuchs. Moose, Algen und Cyanobakterien entziehen durch Photosynthese dem Wasser CO2, der pH-Wert steigt und die Löslichkeit des Kalks sinkt. Der Kalk fällt aus und legt sich als feine, kristalline Kruste über Steine, Felsen und Moose, die dadurch weiter in die Höhe wachsen. So entstehen fantastische, raffiniert geformte Gebilde, die man als Kalktuff bezeichnet und im Laufe der Jahre immer weiter wachsen.

So nutzte man hier seit 2005 einen natürlichen Prozess: Das kalkarme Wasser stürzte unterhalb des Wasserfalls in eine steile Schlucht und weiter ins Tal, und konnte unten gesammelt und zur Bewässerung verwendet werden. Wie kalkhaltig das Wasser war, kann man an alten Rohren sehen, die innerhalb kurzer Zeit vom Kalk zugesetzt wurden. Auch im Kanal selbst musste regelmäßig die Kalkschicht abgeschlagen werden.



Das Werk wurde unterschiedlich diskutiert. Geologen sahen es als ein Lehrstück für die Entstehung von Kalksinterablagerungen, die der Mensch in wenigen Jahren ermöglicht hatte und für die die Natur Jahrtausende benötigen würde. Naturschützer kritisierten den Eingriff in den Naturhaushalt als Umweltzerstörung zugunsten einiger weniger Bauern, die im Tal von dem besseren Wasser profitietren. Die Naturschutzbehörde der Guardia Civil (Seprona) hatte bereits 2016 eine Klage eingereicht mit der Begründung der unerlaubten Umleitung von Wasser und der Anlage im geschützten Landschaftspark Teno. Im Mai 2018 begannen die Verhandlungen für einen Prozess am Gericht in Icod de los Vinos.
Seit Sommer 2020 wurde der Wasserfall immer stärker besucht. Man zählte an Wochenenden oft 300 Leute an einem Tag. Zu viele Menschen, die dort herumtrampeln, waren jedoch eine Gefahr für die brüchigen Kalkformationen und die Vegetation. Auf der Jagd nach einem tollen Handyfoto begaben sich einige auch selbst in Gefahr. Die beschriebenen Wege führen durch Privatgelände, und der große Zustrom von Besuchern störte die Anwohner. Die Stadtverwaltung von Los Silos hatte versucht Schilder und Absperrungen aufzustellen, diese wurde jedoch rigoros wieder abgerissen.
Der Wasserfall hat nun seit 2022 kein Wasser mehr Die Wasserbesitzer wurden gezwungen, das Wasser über Leitungen ins Tal zu führen, da die Kalkausscheidungen die natürliche Flora übermäßig schädigten. Dies ist zumindest die offizielle Begründung.
Rechts des ehemaligen Wasserfalls steigt man ein Stück weiter hinunter und bewundert dort die feinen Kalktuffe. Hier ist Vorsicht angesagt! Man sollte nicht über die empfindlichen Kalksintergebilde gehen, denn man würde sie zerstören.





Der Lauf des Wassers wurde dann steiler und führte in eine Schlucht hinein. Ab hier begann ein Abenteuer, das nur erfahrene Kletterer mit guter Ausrüstung und wasserdichtem Rucksack machen konnten.

Als Durchschnittswanderer sollte man aber noch nicht umkehren. Geradeaus weiter lohnt es sich, einen Abstecher auf dem Höhenrücken des Lomo Morín zu machen. Der Weg ist einfach und übersichtlich und geht etwa 600m bis zu einem prächtigen Aussichtspunkt. Bereits bei der Steinpyramide überblickt man die Küste, aber es lohnt sich, bis zum allerletzten Felsen zu gehen, wo man allerdings auf kleinere Kinder etwas aufpassen sollte.






Hier sieht man Caleta de Interián und Los Silos aus der Vogelperspektive und die gesamte Isla Baja bis nach Buenavista del Norte. Unten an der Küste erkennt man den einzigen noch erhaltenen Schornstein einer alter Zuckerfabrik. Die unteren Teile der Abhänge gehören zum geschützten Naturreservat von Interián und beherbergen zahlreiche endemische Pflanzenarten.
Eine Wanderung entlang der Küste von Los Silos und Buenavista ist hier beschrieben: Isla Baja.
Nach einem ausgiebigen Panorama-Picknick geht man zurück zum Wasserfall und folgt dem Kanal bis zu der Stelle, wo man vorhin von rechts herunter gekommen ist. Wenige Meter unterhalb nimmt man den unteren Teil des Fahrwegs, der eben zwischen Terrassenfeldern mit uralten Weinstöcken verläuft.



Gleich nach der Linkskurve steigt rechts ein kleiner Wanderpfad durch das Gebüsch hinunter in das kleine Tal und auf der anderen Seite wieder hinauf zu den Häusern.
Oben an der Straße hält man sich zweimal links und findet leicht den Weg bis zur Dorfkirche, die der Señora de Lourdes gewidmet ist. Dahinter ist die Dorfschule, und auf der kleinen Bühne erinnert ein Wandgemälde an die alten Traditionen des Dorfes.




Vielleicht gibt es noch ein Essen oder wenigstens einem Kaffee im Restaurant La Ermita an der Ecke. Es ist montags und dienstags geschlossen.
Entfernungen:
Gesamtstrecke: 5km
Hinweg Dorf – Wasserfall (gelb): 2,3km
Abstecher (lila): 0,6km einfach
Rückweg ab Kanal (grün): 0,7km
Höhenunterschied: 525m – 615m
Einstufung: C1*WL (Erklärung siehe hier)
Karte:
Da der Weg am Kanal entlang nicht mehr möglich ist, kann man nur noch den ersten Teil der Wanderung machen und geht sofort auf der grünen Strecke zurück.
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Mehr über Wasser und Kanäle gibt es auch hier: Geschichten von Wald und Wasser, Spurensuche.
Schau auch auf der Seite Wasser nach.
Artikel-Nr. 22-0D1D646D
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Super beschrieben und mit allen Inhalten der beste Blog über Tenerife. Hier erfahre ich wirklich die ganz speziellen und interessanten Geschichten und Wege der Insel. Ich lebe seit 8 Jahren auf der Insel und kannte viele der hier beschriebenen Kuriositäten nicht. ICH BIN BEGEISTERT und sage Danke
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Vielen Dank für das Lob.
Ich werde mich bemühen, auch weiterhin interessante – und vor allem weniger bekannte – Geschichten von der Insel zu erzählen.
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