Wandern in der Geschichte

Wenn man in den Tälern oberhalb von Güímar unterwegs ist, kann man viel lernen über die Geschichte dieses Landstrichs, in dem Landwirtschaft noch wie früher betrieben wird und das Wasser eine große Rolle spielt. Im sagenumwobenen Barranco der Badajoz begibt man sich auf die Suche nach übernatürlichen Ereignissen.

Die Spuren, die man findet, sind Zeugnisse einer Jahrhunderte alten Kulturlandschaft. Das Dorf San Juan ist die Wiege der Stadt Güímar und verdankt seine Entstehung dem Wasser, das früher wie heute intensiv genutzt wird. Auch aus der tiefsten Schlucht der Insel kommt das Wasser, und viele Geschichten sind dort entstanden. Welche Spuren findet man davon?
Geschichte
Das alte Dorf San Juan liegt etwa 2km oberhalb des Zentrums von Güímar. Seine kleine Kirche und die daneben liegende Casa del Paseo sind historisch bedeutsame Gebäude und anerkannt als Nationales Kulturgut. Denn hier ist das Gründungszentrum der Stadt Güímar. Im Jahr 1500 vergab der Adelantado Fernando de Lugo riesige Ländereien an den italienischen Kaufmann Blasino Plombino und seinen Bruder, die als „Römer“ bekannt waren. Beide wurden im Gegenzug verpflichtet, dort eine Zuckerfabrik zu errichten, wo das auf den umliegenden Feldern angebaute Zuckerrohr verarbeitet wurde. Die in den folgenden vier Jahren gebaute und mit Wasserkraft betriebene Zuckermühle nutzte die reichen Wasservorkommen aus zwei Schluchten. (Der Barranco del Agua und der Barranco de Badajoz bilden mit 60km2 das größte Wassereinzugsgebiet der Insel.) Zucker war damals das wichtigste Exportprodukt der Insel und die Zuckerhändler waren reiche Leute. Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Fabrik wieder aufgegeben.
Transporteure schafften das Zuckerrohr heran, Zuckerhändler holten die Ware ab, in der Zuckermühle arbeiteten Sklaven. Hufschmiede, Schreiner, Maurer und Bäcker fanden Arbeit, und so entstand das bedeutende Siedlungszentrum „Güímar de Arriba“ auf den eher abseits gelegenen Hängen des Tals von Güímar. Schließlich wurde es auch notwendig, eine Kirche zu bauen. Kaum zu glauben, dass die Gläubigen, die sechs Tage die Woche schufteten, am Sonntag zur Messe dann 10km bis nach Candelaria laufen mussten, und wieder zurück in ihr Dorf auf 400m Höhe. Im Jahre 1534 wurde daher die erste Kirche des Ortes Güímar hier erbaut und nach Johannes dem Täufer benannt. In der Casa del Paseo, dem alten Herrschaftsgebäude neben der Kirche, übernachteten viele Pilger, die am St.Johannis-Tag zur Kirche von San Juan aufstiegen.




Die Kirche, die man heute hier sieht, ist jedoch nicht mehr die ursprüngliche. Der Schwerpunkt des Zuckerrohranbaus verlagerte sich im Laufe der Zeit weiter nach unten in die besser zugänglichen Zonen, wo auch zahlreiche Wasserbecken gebaut wurden. In diesem zweiten Siedlungskern „Güímar de Abajo“ wurde nun eine größere Kirche gebaut. Nachdem 1629 ein Sturm die alte Kirche von San Juan stark zerstört hatte, geriet diese für die nächsten 150 Jahre in Vergessenheit. Erst im Jahr 1780 wurde sie von Luis Tomás Baulén de Ponte y Fonseca, einem der Erben von San Juan, wieder aufgebaut. Sein Familienwappen ist heute noch über dem Eingangsportal zu sehen, ein Portrait hängt im Innern der Kirche.
Seit 2008 ist die Kapelle und die Casa del Paseo als Nationales Kulturgut anerkannt.
Wanderung, Teil 1: zur Hidro von Güímar
Direkt an der Bar „El chiringuito de San Juan“ beginnt der steil ansteigende Camino Los Hurones, ein asfaltiertes Sträßchen, das schnell aus dem Dorf heraus führt. Es endet nach Schweiß treibenden 500m am Wasserhaus „Los Hurones“. Hier beginnt die Spurensuche, denn der Pfad ist stellenweise recht verwachsen, folgt aber mehr oder weniger immer einer Wasserleitung, zuerst als Rohr, später dann als offener Kanal. Der Weg ist markiert als Ruta del Agua, er gehört aber nicht zum offiziellen Wanderwegenetz der Insel. Auch wenn man sich öfters durch hohes Gebüsch plagen muss, es geht immer geradewegs nach oben. Ein deutlicher Orientierungspunkt sind zwei rot gestrichenen Wasserhäuschen.



Unterwegs wird man zwangsläufig öfters mal eine Verschnaufpause einlegen. Dann lohnt sich ein Blick zurück. Denn von hier oben überblickt man das gesamte Tal von Güímar. Nach Norden geht der Blick bis nach Candelaria, noch weiter in der Ferne erkennt man Santa Cruz. Am Horizont über dem Meer erheben sich die Berge von Gran Canaria. Das Tal von Güímar ist durch einen gigantischen Bergrutsch entstanden, dessen südliche Flanke man gut erkennen kann. Die TF-28 schlängelt sich hinauf zum Mirador Don Martín. Dort klebt wie ein Adlerhorst am Felsen das alte Hotel, das 1967 im beginnenden Tourismus-Boom eröffnet wurde, aber bereits im nächsten Jahrzehnt wieder geschlossen wurde und seither verrottet.

Nach weiteren 500m verlässt der Pfad kurz den Kanal nach rechts, um dann 200m weiter in die Straße zu münden, die von San Juan heraufkommt. Nun ist man schon bei der „Hidro“. Das ist ein altes Wasserkraftwerk. Hier ist ein perfekter Platz für eine Rast, nach dem doch recht anstrengenden Aufstieg.
Wasserkräfte
Hier findet die Spurensuche wieder einen sehenswerten Ort, der mit dem Wasser zu tun hat. Zunächst einmal wird man auf den plätschernden „Wasserkasten“ aufmerksam.
Es handelt sich um eine alte „caja de agua“, auch pesador oder cantonera genannt, in der das Wasser aus der Hauptleitung, der „gruesa“, in verschiedene Kanäle geteilt und abgeleitet wird. Diese Wasserkästen stellen auch ein wichtiges Element im Kulturerbe von Teneriffa dar, das nach und nach verschwindet, weil die Verschlussmechanismen heute in den Plastikrohren und -leitungen verbaut werden.
Das alte Wasserkraftwerk, die „Hidro de Güímar“, befand sich in dem oberen, größeren Haus der beiden Gebäude. Dort wurde am 7. April 1929 die Turbine in Betrieb genommen, die Güímar mit Strom versorgen sollte. Bereits 1920 wurde die Sociedad Hidroeléctrica de Güímar als Aktiengesellschaft gegründet, aber Vertragsprobleme mit der Wassereigentümergemeinschaft „Rio y Badajoz“ führten zu Verzögerungen.




Über eine Druckleitung mit 200m Höhenunterschied wurde das Wasser zur Turbine geleitet, die 60 Liter pro Sekunde verarbeiten konnte, der Generator erzeugte eine Leistung von 125kW. Die Turbine wurde in Heidenheim auf der schwäbischen Ostalb gebaut und versorgte über ein 6,5km langes Stromnetz die Municipios von Güímar und Arafo. Für den Bau der elektrischen und hydraulischen Anlagen wurde die deutsche Firma Siemens-Schukert beauftragt. Im Jahr 1951 wurde wegen stark gestiegener Stromnachfrage ein Dieselgenerator installiert, diesen brachte man in einem kleineren Nebengebäude unter. Aber bereits zehn Jahre später war auch dies nicht mehr ausreichend und die Stromproduktion wurde eingestellt. 1972 wurde die Gesellschaft und das Netz in die UNELCO integriert.



Seit 2007 ist die Hidro von Güímar als historischer Ort und Nationales Kulturgut anerkannt. Immerhin ist ein technisches Werk, das nur selten auf Teneriffa zu finden ist. Das einzige weitere Wasserkraftwerk war in La Orotava in Betrieb.
Oberhalb des Kraftwerks kann man noch etwa 200m weiter hinauf gehen, um die Druckleitung zu sehen, die auf hohen Pfeilern vom Berg herunter kommt. 50m oberhalb des Kraftwerks befindet sich ein großes Wasserbecken.



Die Ruta del Agua führt theoretisch noch weiter nach oben, immer auf dem Höhenrücken zwischen den beiden Barrancos, quert den legendären Canal de los mil und erreicht durch den Kiefernwald am Ende auch den Höhenrücken mit dem Observatorium von Izaña. Doch der Pfad ist schlecht gepflegt, und schwer zu finden, außerdem sehr anstrengend. Der Canal de los mil ist in diesem Artikel ausführlich beschrieben: Ventanas de Güimar.
Wanderung Teil 2: Ins Barranco de Badajoz



Diese Wanderung hier verläuft von der Hidro aus nun quer hinüber zum Barranco de Badajoz, und dies ist der unbequemste Teil der Wanderung, auch wenn es anfangs nicht so aussieht. Direkt unterhalb der Hidro führt eine steile Treppe neben einem Rohr hinunter ins Tälchen. Wenn man sich unten durchs Gebüsch geschlagen hat, geht man zunächst bequem auf oder neben einem Kanal weiter, der um einen Berghang herum führt. Man kommt zu einer zweiten, sehr steilen Treppe, und danach ist der Weg ist stark zerstört und zugewachsen. Man muss sich entweder entlang des Kanals weiter hangeln und durch Gebüsch hinunterklettern, oder einen Weg durch den Weinberg suchen. Aber es sind nur 20m. Das Ziel ist jedenfalls klar: Unten sieht man schon den Schotterweg im Barranco de Badajoz.
Wanderung Teil 3: Schluchtenabenteuer
Hier beginnt nun der interessante Abstecher in das Barranco der Legenden, die größte, tiefste und steilste Schlucht der Insel.

Allerdings sieht es zunächst gar nicht so dramatisch aus. Das Schottersträßchen steigt auf etwa 900m Länge gemächlich an, man beobachtet aber schon, wie das Tal langsam enger wird. Doch dann geht man geradewegs auf einen schluchtartigen Einschnitt zu. Links oben befindet sich der Ausgang einer Galería, wo noch alte Schienen aus dem Tunnel herauskommen. Nach einem kurzen, steilen Abschnitt, der mit großen Steinen gepflastert ist, befindet man sich nun plötzlich zwischen steilen Felswänden, die vom Wasser ausgewaschen sind.



Von hier aus wandert man nun wirklich in einer engen Schlucht, die sich in Kurven immer mehr den Bergen nähert. Der Weg verläuft im oder neben dem Bachbett, dem man einfach weiter folgt.


Rechts oben am Hang kann man zu einem weiteren Ausgang einer Galería aufsteigen, aber viel zu sehen gibt es dort nicht. Die Vegetation hat sich stark verändert. Hier wachsen keine Tabaibas oder Kakteen mehr. In der schattigen und feuchten Schlucht findet man Brombeeren, Brennnesseln, Zistrosen und zwei Meter hohe Margaritenbüsche.



Kurz nach einer Kanalbrücke entdeckt man links an der Felswand das verfallenen Gebäude der Galería Izaña, die im Jahr 1912 angelegt wurde. Im Halbdunkel kann man alte Wasserpumpen und Dampfmaschinen erforschen.






Wasserstollen
Die Galería von Izaña ist die älteste und vermutlich auch die längste von insgesamt 7 Stollen in diesem Barranco. Die genaue Länge ist unbekannt, es gibt mehrere Verzweigungen im Innern des Berges, einige davon sind auch wieder eingestürzt. Von den 6 anderen „Minas“ weiß man die Länge genau, zusammen messen sie insgesamt 14930m. Die kürzeste davon ist die Mina El Cañizo mit 1815m Länge. Mehr als 37000m3 Gesteinsmaterial wurde herausbefördert, damit könnte man zweieinhalb Fußballfelder mehr als 2m hoch bedecken. Überall vor den Ausgängen der Stollen sieht man die Abraumhalden. Für den Transport sorgten kleine Lokomotiven, die extra zu diesem Zweck konstruiert wurden. Da man wegen des Wassers keine Elektromotoren verwenden konnte, setzte man auf besondere, abgasarme Dieselmotoren. Die Stollen sind in der Regel etwa 2m breit und 1,80m hoch, ein gemauerter Kanal verläuft seitlich im Stollen. Es gibt mehr als 1500 solcher Wasserstollen auf der Insel, einige sind bis zu 6km lang.




Fotos: Philipp Steigleder
Land und Wasser sind schon seit der spanischen Eroberung immer ein zusammengehöriger Besitz und ein Erbhof, d.h. dem Grundbesitzer gehört auch das Wasser im betreffenden Einzugsgebiet. Er konnte es vererben, aber auch ganz oder teilweise verkaufen oder spenden. Anfang des 20. Jahrhunderts, als die staatliche Gesetzgebung zur Wassernutzung begann und das Wasser zum Gemeingut erklärt wurde, wurden diese Erbhöfe umgeformt zu Wassernutzungsgemeinschaften.
Der Hauptfluss des Wassers („gruesa“) wird aufgeteilt und abgemessen in ausgeklügelten „cantoneras“, wie man sie hier überall an den Kanälen sehen kann. Jedes Mitglied der Gemeinschaft erhält dann seine „dula“, die ihm zustehende Wassermenge, die nach einem festgelegten Zeitplan verteilt wird. Gemessen wird früher wie heute in der Einheit „pipa“, die 480 Liter entspricht.
Der Stollen von Izaña ist zwar der längste im Barranco de Badajoz, fördert aber nur 24 pipas pro Stunde, die Mina El Cañizo dagegen bringt es auf 97 pipas pro Stunde (= 13 Liter pro Sekunde). Seit den 1960er Jahren hat die Anzahl der Wasserstollen in Teneriffa kaum mehr zugenommen, die Gesamtförderung ist von 7000l/s auf etwa 4000l/s zurückgegangen.

Alle Stolleneingänge sind heute mit Gittern verschlossen und mit deutlichen Warnhinweisen versehen, nachdem im Jahr 2007 sechs Ausflügler in einem Stollen bei Los Silos erstickt waren.
Viele Wanderer kehren bei der Galería Izaña um, weil sie denken, dass es nicht weiter geht. Aber mit etwas Kraxelei kommt man noch etwas weiter. Nachdem man über nasse Felsblöcke, verrostete Schienen und die Abraumhalde geklettert ist, führt ein schmaler Pfad zwischen Brombeerbüschen noch etwa 20m in den jetzt nur noch einen Meter breiten Bachlauf hinein. Man steht staunend zwischen senkrechten Felswänden und kann sich kaum vorstellen, dass diese viele hundert Meter hoch sind. Unmittelbar vor einer solchen Felswand endet dann auch der begehbare Teil der Schlucht.




Wanderung Teil 4: Zurück ins Dorf
Der Rückweg ist nun zunächst derselbe. Vor der Stelle aus, wo man vorhin von oben heruntergeklettert ist, geht man etwa 1,5km auf dem Fahrweg, der später auch asfaltiert ist. Dann wechselt man nach links auf einen anderen Schotterweg, der direkt im trockenen Bachbett verläuft, bis zu einer Art Staumauer, die allerdings nicht in die Klasse besonders raffinierter Ingenieurkunst gehört. Unterhalb öffnet sich ein weiter Talgrund. Von der Staumauer aus geht man nach links auf der asfaltierten Straße, die in mehreren Kurven nach rund 800m direkt zur Plaza San Juan führt.





Hier kann man noch einmal herrliche Ausblicke genießen und vielleicht nachvollziehen, warum das Tal von Güímar früher als die „Speisekammer Teneriffas“ bezeichnet wurde. Weiter unten, Richtung Meer, ist die Landschaft aber nachhaltig zerstört, lies nach bei 168 423 159,13 Euro.

Anfahrt

Auf der TF-28 fährt man aus Güímar heraus in Richtung Fasnia. Nach der Tankstelle kommt zuerst eine Linkskurve, dann gleich nach dem Ortsschild von Guaza eine Rechtskurve. Dort beginnt überraschend das kleine Sträßchen hinauf nach San Juan und Güímar de Arriba. Diesem folgt man bis zur Plaza von San Juan, wo man gut parken kann.
Karte: braun=Anfahrt, gelb=Rundwanderung, blau=Barranco

Entfernungen und Zeit:
San Juan – Hidro: 1,3km, 45min
Hidro – Barranco: 0,6km, 20min
Barranco hin und zurück: 2 x 2km, 80min
Rückweg: 1,7km, 30min
Gesamt mit Pausen: knapp 8km, 4 Stunden


Empfehlung:
Lange Hosen, wegen des Gestrüpps. Möglichst bei bedecktem Himmel. Nicht nach längeren Regenfällen. Im Winter ist die Schlucht nachmittags schon sehr schattig und dunkel.
Hier noch ein Video mit Eindrücken der Wanderung in die Schlucht:
Lies hier die Geschichten aus der Schlucht der Legenden. Mehr zum Thema Wasser gibt es in Tierra del Trigo: Immer dem Wasser nach.
Eine interessante alte Galería kannst du in der Nähe von Candelaria entdecken: Dazu musst du bis Ans Ende der Welt gehen.
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Ein ähnlicher Barranco, nicht so wild, aber auch schön, im Municipio von Arafo, ist in diesem Artikel beschrieben: Barranco de Añavingo. Suchst du eher eine bequeme Wanderung, ebenfalls mit Wasserstollen? Dann schau hier nach: Wildnis bequem.
Im Artikel Der Eselsbauch erfährst du, wie das Wasser in den Berg kommt.
Und im Municipio von La Guancha auf der Nordseite der Insel gibt es noch mehr Geschichten über Wald und Wasser.
Artikel-Nr. 13-3-67