Die Hochzeiten der Pflanzen

José Antonio de Viera y Clavijo.

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„Bezweifelt es nicht, die Blume ist eine Hochzeit;
Der Kelch ist das Ehebett;
Die Blütenblätter, klar und modern,
Sie sind die Vorhänge, die vor der Knospe hängen,
Und das große Geheimnis verbergen;
Der ganze Raum, mit Gerüchen parfümiert bis zur Decke;
Und der Nektar, den die Biene dort begehrt,
Ist das Brot der Hochzeit und die Freude.“

So klingt die 13. Strophe des Gedichts „Die Hochzeiten der Pflanzen“ von José de Viera y Clavijo, einem der größten Botaniker Spaniens. Mit klangvollen Worten beschreibt er die vielfältige und wundersame Natur, die er sein ganzes Leben lang untersuchte.

Es gibt wohl kaum einen anderen Namen, der so präsent im täglichen Leben der Insel ist. Viera y Clavijo, das hat jeder schon einmal gehört. Straßen und Plätze, Gärten, Schulen, Bibliotheken, Kinos und Vereine tragen diesen Namen. Zu Recht, denn dieser Mann war einer der bedeutendsten Naturforscher seiner Zeit.

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(Foto: *1)

Die Stadt Los Realejos ist besonders stolz auf ihren berühmten Sohn. Sein Geburtshaus ist bescheiden und liegt versteckt in einer steilen Straße in Realejo Viejo, auf der anderen Seite der Schlucht, die diese seltsame Stadt teilt. Die Straße trägt natürlich seinen Namen, aber das Straßenschild kann man neben dem Plakat eines Guachinche fast übersehen.

Hier kommt kein Tourist zufällig vorbei. An dem Haus mit der Nummer 15, gegenüber der kahlen Wand des städtischen Stadions, zeigt nur ein einfaches Schild, dass der berühmte Geschichtsschreiber hier am 18. Dezember 1731 zur Welt kam. Gleich nach der Geburt wurde er getauft, was eigentlich nicht üblich war und auf eine problematische Geburt hindeutet. In der Tat war er später Zeit seines Lebens schwach und kränklich. Er selbst versicherte immer wieder, an der geheimnisvollen Schlafkrankheit zu leiden, die auch das Aussterben der Guanchen verursacht haben soll. Trotzdem wurde er über 80 Jahre alt, was in dieser Zeit eine Seltenheit war.

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Das Wandgemälde in Realejo Alto zeigt rechts Viera y Clavijo, links den Chemiker Antonio González González (1917-2002), ebenfalls aus dieser Stadt.

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Poet, Biologe, Geschichtsschreiber,… Viera y Clavijo war ein Allround-Wissenschaftler. Penibel notierte er alles, was ihm in seinem Leben begegnete, las alle Bücher und Texte, die er in die Hände bekam. Er studierte im Dominikanerkloster von La Orotava und begann eine kirchliche Laufbahn. Mit 21 wurde er Leiter des Chors in der Kirche Nuestra Señora de la Peña de Francia in Puerto de la Cruz, danach ging er als Pfarrer nach Las Palmas.

Er war äußerst intelligent, verstand Latein und Griechisch, übersetzte französische Literatur, sprach immer klar und verständlich. Dies alles ermöglichte ihm Zugang zu den Bibliotheken der Aristokratie, wo er unzählige handschriftliche und fast vergessene Dokumente studierte.

Im Jahr 1770 nahm er ein Angebot des Herzog von Santa Cruz de Mudela an, der einen Lehrer für seinen Sohn suchte. Viera y Clavijo zog nach Madrid und arbeitete dort einige Jahre, war aber enttäuscht vom intellektuellen Ambiente der Hauptstadt. Seine Bekanntschaften mit dem dortigen Adel brachten ihm aber die Möglichkeit zu reisen. In Wien, Neapel, Venedig, Amsterdam, Paris, überall bekam er Zugang zu namhaften Bibliotheken und lernte bedeutende Wissenschaftler kennen, durfte sogar verbotene Bücher lesen. In den Archiven des Vatikan fand er weitere Dokumente über die Geschichte der Kanaren.

In Paris verfasste er sein Gedicht „Los Ayres fixos“ über die flüchtigen Gase. Seine wissenschaftlichen Fähigkeiten stellte er am spanischen Hof unter Beweis, wo er zur Unterhaltung der Gäste ein paar mit Wasserstoff gefüllte Schweinsblasen zum Aufstieg brachte. Auch bei den ersten Versuchen mit einem Heißluftballon, durchgeführt vom Ingenieur Agustín de Betancourt aus Puerto de la Cruz, war er dabei. Hier ist die Geschichte von Agustín de Betancourt: Von Teneriffa nach Russland.

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„Auf meinen Reisen durch Europa sah ich 138 Flüsse, 165 Städte, 13 Kunstakademien, 8 chemische Labore, 6 anatomische Werkstätten, 70 Kathedralen, 5 Synagogen.“ All das angesammelte Wissen musste er noch zwei Jahre lang ordnen und in sein berühmtestes Werk einarbeiten „Notizen über die Allgemeine Geschichte der kanarischen Inseln“, das 1783 erschien. Dann erst konnte er die Stelle als Erzdiakon von Fuerteventura antreten, die er gerne annahm, weil er sich in Madrid nicht mehr wohl fühlte.

Dass Gelehrsamkeit und Studium nicht im Widerspruch zu Ironie und Humor stehen müssen, zeigen zahlreiche Ölporträts und Stiche, auf denen er mit einer leicht spöttischen Geste posiert, mit dem schwachen Lächeln eines Jokergeistes, der nach seiner Reise nach Rom schrieb: „Der Papst verwendet auch Puder“, überrascht, dass selbst der Papst mit der Mode geht.

(Fotos: *3)

Endlich wieder auf den Kanaren, begann eine ruhigere Phase seines Lebens, in der er seine literarischen Fähigkeiten weiterentwickelte und sich mehr und mehr der Erforschung der Natur widmete. Er präsentierte der Königlichen Wissenschaftlichen Gesellschaft von Las Palmas Artikel über die Mineralwässer von Teror und die Steinkohle (1785), über Wildkräuter und Rizinus (1786), Seidenraupen und Holzkohle (1787), das Trinkwasser von Las Palmas, die Reparatur von Hüten, die Entfettung von Wolle (1788),… Der berühmte Viera y Clavijo war in jedem Forschungsgebiet ein gefragter Experte. Das „Wörterbuch der Naturgeschichte der kanarischen Inseln“ war sein wissenschaftlich bedeutendstes Werk, das er 1799 vollendete. Dort stellte er akribisch mehr als tausend Namen von kanarischen Pflanzen, Tieren und Mineralien mit ihren wissenschaftlichen Namen zusammen und verwendete die kurz zuvor vom Biologen Linné vorgeschlagene Terminologie. Es wurde erst 50 Jahren nach seinem Tod veröffentlicht.

Mit poetischen Worten beschreibt er die Bäume: „Das Holzfeuer, das uns wärmt, jener Pflug, der die Erde umgräbt, jenes Spinnrad, das sich dreht, jenes Boot oder jenes Dach, all die Künste, bei denen man Holz verwendet, könnten sie ohne die Bäume existieren? Lange bevor sie ein Opfer der Axt werden, wie viele reiche Schätze schenken sie uns? Von ihren Zweigen fällt uns die Kastanie zu Füßen, die Olive, die Nuss, die Mandel. Sie legen uns die Orange in die Hand, den Granatapfel, die Pflaume, die Birne, die Banane, die Zitrone. Es fließt das Öl der Oliven, der Wein der Reben. Der Maulbeerbaum schenkt uns die Seide und die Baumwolle ihren wertvollen Flaum. Es schwitzt der Drachenbaum sein Blut, der Almácigo sein Harz, die Kiefer ihren Teer, der Cardón und Tabaiba ihre Milch.“

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Das didaktische Gedicht über die „Hochzeiten der Pflanzen“ verfasste Viera y Clavijo 1804 als botanische Abhandlung über die Befruchtung und Vermehrung von Pflanzenarten. Es hat 45 Strophen, in der ersten Strophe erwähnt er auch Carl Linné.

„Vom Sieg über Nelson“ oder „Romanze von den neuer Mode des Haarschnitts“ sind weitere Gedichte.

„Das Leben des gut unterrichteten José Sargo“ war ein Roman, „Das Leben der Heiligen Genoveva“ war ein Theaterstück.

Kein Wunder, dass José de Viera y Clavijo hier auf vielfältige Art geehrt wird. Besonders natürlich in Los Realejos. Sein Denkmal steht auf dem gleichnamigen Platz vor der Kirche. Gegenüber befindet sich die Biblioteca Viera y Clavijo. Die Stadt hat ein lustiges Lernspiel für Kinder veröffentlicht, mit dem Schüler sich die wichtigsten Fakten mit Comics, Puzzles oder einem Fragespiel aneignen können:

http://josedevierayclavijo.com/

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(Foto: *4)

Großes Entsetzen erregte im Jahr 2012 die Enthauptung einer Bronzebüste von Viera y Clavijo. Das Denkmal befand sich in einem abgesperrten Bereich im Garten des vernachlässigten Parks Viera y Clavijo in Santa Cruz. Die Übeltäter müssen über den Zaun geklettert sein, sie wurden nie gefunden, ebenso wie der Kopf der Statue. Zwei Jahre später schlug ein Versuch fehl, die Statue für eine mögliche Restaurierung zu entfernen. Die Arbeiter konnten sie nicht vom Sockel heben.

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„Notizen über den Himmel oder eine Astronomie für Kinder“, Viera y Clavijo wurde nie müde, Aufsätze, Briefe und Gedichte zu schreiben. Wenige Monate vor seinem Tod schrieb er seine Memoiren. In einem Porträt von 1812, wo er bereits wie ein sehr alter Mann aussah, ist er immer noch mit seinem leicht ironischen Lächeln auf dem Gemälde zu sehen, das eines vergessenen Erleuchteten. Er starb am 21. Februar 1813 in Las Palmas. Jedes Jahr am 21. Februar findet zu seinen Ehren der Día de las Letras Canarias statt.

Zu seinen Ehren hat auch der englische Biologe Philipp Baker Webb im Jahr 1839 eine endemische Pflanze, die nur im Tenogebirge vorkommt, mit Vieraea laevigata benannt. Der gelb blühende Busch heißt hier Amargosa. Das Naturwissenschaftliche Museum von Teneriffa gibt eine Zeitschrift mit dem Namen Vieraea heraus, in der biologische Forschungsarbeiten über die kanarischen Inseln veröffentlicht werden. Der botanische Garten von Las Palmas trägt den Namen Viera y Clavijo, auch dort steht ein Denkmal an ihn.

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(Foto: *6)

Von Januar bis Mai 2019 widmete die spanische Nationalbibliothek in Madrid dem genialen Forscher und Kosmopolit eine Ausstellung mit vielen Bildern und Manuskripten zu seinem Lebenswerk. Einige davon waren zum ersten Mal außerhalb der Kanaren zu sehen.

Es ist eine Schande für die Stadt Santa Cruz, dass der hübsche Parque Viera y Clavijo mit seiner neugotischen Kirche zwar ein offizielles Kulturdenkmal ist, sich aber seit vielen Jahren in einem bedauernswerten und heruntergekommenen Zustand befindet. Doch das ist eine andere Geschichte…

(Fotos: *1=LosRealejosTravel, *2=Cabildo de Tenerife, *3=Wikipedia, *4=LaOpinion, *5=IsladeTenerifeVivela, *6=ElDiario)

Mehr über berühmte Menschen aus Teneriffa findest du auf der Seite PERSÖNLICHES.


Artikel-Nr. 21-6-133

3 Gedanken zu “Die Hochzeiten der Pflanzen

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