Die Tabaiba dulce.
Man sieht sie überall in den trockenen Küstenzonen. Sie wächst dort, wo sonst keine andere Pflanze hin will, sie klammert sich an jeden Fels und überlebt in absolut trockenen Schluchten. Sie ist üppig grün oder völlig kahl. Sie schleicht am Boden entlang und passt sich an den Wind an. Und manchmal will sie auch ein Baum sein.

Die Tabaiba ist eine der typischen Pflanzen in den wilden, von alten Lavaströmen überzogenen, niedrigen Regionen der Insel. Ein Baum ist sie nicht, und eigentlich auch kein Busch. Sie gehört in die Familie der Euphorbien, und ihr wissenschaftlicher Name ist Euphorbia balsamifera Aiton. Der Name, für den es ganz verschiedene Schreibweisen gibt (tabaiva, tabaliba, tabayba, tabayua, tabayva, taybayba, thabbayba, tobaiba, tobaibo, trabaya, tubayba) stammt aus der alten Sprache der Guanchen, die mit dem Amazigh der Berber verwandt ist.





Die Balsam-Wolfsmilch, Tabaiba dulce, Tabaiba blanca oder Tabaiba mansa, die süße, die weiße oder die zahme Tabaiba ist ein verholzter Strauch, der im Idealfall eine halbkugelförmige Krone ausbildet, mit dicken, knorrigen grauen Stämmen, die sich schon nah am Boden verzweigen. Meist wird sie 60cm bis 1 Meter hoch, an schattigen, geschützten Standorten kann sie eine Höhe von mehr als 3 Metern erreichen. In trockenen und windigen Gebieten hat sie jedoch einen kriechenden, verkümmerten Wuchs und die Zweige wachsen parallel zum Boden. Rund um die Insel in den tieferen Lagen nahe der Küste befindet sich die Vegetationszone, die als Tabaibal-Cardonal bezeichnet wird. Der Cardón, oder Kanaren-Wolfsmilch, ist ebenfalls eine Euphorbie.



Die Blätter der Tabaiba sind länglich, grünlich-glänzend und in Rosetten an der Spitze des Stängels angeordnet. Sie sind runder als die der bitteren Tabaiba. In der Mitte der Blattrosette entwickelt sich der Blütenstand mit kleinen gelben Blüten, aus denen sich eine einzige rötliche Frucht bildet. Diese Eigenschaft ist wichtig für die Unterscheidung zwischen süßen und bitteren Tabaibas, da letztere immer mehrere Früchte zusammen entwickeln. Im Sommer verliert sie ihre Blätter auf Grund der hohen Sonneneinstrahlung und der fast fehlenden Niederschläge in der bioklimatischen Zone, in der sie sich befindet. Dies ist ein Mechanismus, um den Wasserverlust durch Transpiration zu vermeiden. Diese Überlebenskünstler müssen ja die meiste Zeit ihres Lebens ohne Wasser zurecht kommen. In der Trockenzeit übernimmt der Stamm die Funktion der Photosynthese, da er in seinem Inneren Chloroplasten besitzt.





Wie alle Euphorbien setzt auch die Tabaiba dulce bei der kleinsten Wunde einen milchigen Latexsaft frei, der jedoch im Gegensatz zu den anderen Tabaibas nicht giftig ist. Er wurde sogar früher genutzt zur Stärkung des Zahnfleisches, zur Verstärkung des Speichelflusses und zur Heilung von Warzen und Hühneraugen. Man ritzte die Stämme mit einem Stein an, damit aus ihnen ein paar Tropfen des Safts herausquellen konnten. Am nächsten Tag konnte man die kleinen, angetrockneten Kügelchen abnehmen und darauf herumkauen.

Die Kinder machten sich ihre eigenen Kaugummis daraus. Sie sammelten viel von dem Saft in einer Blechdose, machten ein kleines Feuer darunter, und als der Saft leicht aufkochte wie Milch, rührten sie mit einem Stock um und formten eine kleine Kugel. Es schmeckte nicht wirklich gut, aber es war gut gegen den Durst, wenn man lange in der Hitze unterwegs war. Mischte man ein bisschen Zucker darunter, war es sogar eine kleine Leckerei. Dies wurde sogar schon von dem berühmten Naturforscher Viera y Clavijo (1731-1813) beschrieben: „Diese Milch, die in allen Teilen dieses Strauches reichlich vorhanden ist, ist ein Gummiharz, das in der Sonne schnell gerinnt; und da es dann die Schärfe verliert, die es in seinem flüssigen Zustand haben kann, wird es von unseren Landsleuten oft und gerne gekaut, um die Zähne zu reinigen und zu stärken.“
Mehr über Viera y Clavijo findest du hier: Die Hochzeiten der Pflanzen.

Es gab sogar Versuche, diese Kaugummis unter dem Namen „Tabay“ zu vermarkten. Als Kaugummis in den 1940er Jahren aus Amerika kamen, hatte der Unternehmer Luis Fajardo die Idee, den Saft der Tabaiba dafür zu nutzen. Die Kaugummifabrik in Las Palmas wurde aber schon 1948 geschlossen und von dem katalanischen Unternehmen Chada S.A. übernommen, danach erlangte der Tabay-Kaugummi größere Bekanntheit und Marktanteile durch zahlreiche Werbekampagnen, in denen man Anzeigen lesen konnte wie z.B. „köstliches Beruhigungsmittel, das Ihnen das Vergnügen eines sportlichen Nachmittags ermöglicht“ oder „sie erzeugen ein angenehmes Gefühl des Wohlbefindens, löschen den Durst, erfrischen den Gaumen, parfümieren den Atem und wirken als Beruhigungsmittel für die Nerven, es ist auch der Todfeind der Langeweile“.
Auch die Fischer nutzten gelegentlich den Latexsaft der Tabaiba dulce zum Abdichten kleiner Schäden an den Holzbooten, aber es war eine mühsame Arbeit über viele Tage, bis man eine ausreichende Menge des Safts zusammen hatte. Diese Funktion als Leim nutzte man auch für Vogelfallen oder, vermischt mit Drachenblut, zum Versiegeln von Briefen. Das korkige Holz diente zum Verschließen von Weinfässern und aus der Rinde wurde eine Art Seil hergestellt.
Wer beim Wandern genau hinschaut, kann an den alten Tabaibas gelegentlich noch die Schnittmarkierungen an den Stämmen sehen, wo der Latex gewonnen wurde.


In diesem Video erfährst du mehr über die Tabaibas, ihre Nutzung und ihre Gefährdung durch den Menschen:

In den Küstenregionen der Insel ist die Tabaiba fast überall vorhanden. Sie kann direkt an der Küste wachsen, aber auch bis in 400m oder 600m Höhe, und sie ist nicht nur ein Überlebenskünstler, sondern auch ein Verwandlungskünstler. In der Trockenzeit sieht man einen völlig kahlen Strauch, ganz ohne Blätter. Aber wenn mal ein bisschen Regen fällt, dann werden die Tabaiba-Gesellschaften zu richtig grünen Wäldchen. Alte Pflanzen können über hundert Jahre alt werden, und dann sind sie schon fast ein kleines Bäumchen.
Obwohl die Tabaiba relativ häufig vorkommt, ist sie nach kanarischem Recht geschützt. Außerdem wurde sie 1991 zum Pflanzensymbol der Insel Lanzarote erklärt. Die größte Bedrohung für die Art ist derzeit die Zerstörung ihres Lebensraums durch die massive Bebauung der Küstenzonen.

Achtung: Man darf die Tabaiba dulce nicht verwechseln mit der Tabaiba salvaje (Euphorbia aphylla Brouss). Letztere kommt auf Teneriffa fast nur an der Nordküste zwischen Los Silos und der Punta de Teno vor. Sie hat einen einzigen Stamm, der sich verzweigt, ihre Ästchen sind dünn und grün und die gelben Blüten winzig klein. Auf keinen Fall sollte man mit ihrem Latexsaft in Berührung kommen, der die Haut sehr stark reizt.
Auch die andere bekannte Euphorbien Art, der Cardón, der ebenfalls im Tabaibal-Cardonal vorkommt, hat einen stark ätzenden Milchsaft, der bei Kontakt Hautverletzungen hervorruft. Kurioserweise kann der Saft der Tabaiba dulce als Gegenmittel verwendet werden. Ausprobieren sollte man beides vielleicht besser nicht.
Tabaiba ist auch der Name eines Ortes in der Gemeinde El Rosario mit etwa 330 Einwohner. Er liegt oberhalb und unterhalb der Autobahn.
Artikel-Nr. 0-57-245
Ein wirklich interessanter Artikel, danke!!! Mich würde ja das Kaugummi richtig interessieren, vielleicht mache ich einen Selbstversuch mit einem Fenchel Geschmack……wird dann erst durch Freunde getestet…..und bei Erfolg auch zu dir Gerardo geliefert.
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