In den Bergen von Candelaria

Die Abhänge auf der Ostseite der Insel sind von zahlreichen tiefen Schluchten zerschnitten. Eine davon ist der Barranco Chacorche. Ganz oben, am Ende der Welt, entdeckt man fantastische Reste der hundert Jahre alten Wasserbautechnik.
Die Berge oberhalb von Igueste de Candelaria sind einsam und verlassen. Nur selten gehen Wanderer in die tiefen Schluchten hinein. Mehrere Wasserkanäle verlaufen an den Hängen entlang und bringen das wertvolle Trinkwasser aus den Stollen in die Städte. Diese Wanderung verläuft ein Stück auf einem solchen Kanal und danach tief in die Schlucht von Chacorche hinein.
Man beginnt am bequemsten am Friedhof von Igueste de Candelaria, wo man das Auto abstellen kann. Dann geht man auf dem Sträßchen weiter, wo nach 200m der Asphalt endet, dort biegt man rechts auf einen Schotterweg ab in Richtung Berge. Nach weiteren 200m kommt man an einem großen Ziegenstall vorbei.



150m danach trifft man auf die Beschilderung der offiziellen Wanderwege SL TF 296 und SL TF 296.2.Letzterer weist in den Barranco Chacorche hinein. Der Weg Nr. 296 geht über La Mesa nach Araya. Wer mag, kann zunächst den folgenden Abstecher zum Felsentor machen, der aber etwas steil ist.

Der Weg Nr. 296 steigt zuerst leicht, dann steiler den Hang hinauf. Je mehr man an Höhe gewinnt, desto besser wird die Aussicht hinunter nach Candelaria und zur Küste. Man sieht das Kraftwerk von Las Caletillas und die Autobahn. Bald entdeckt man auch den imposanten Felsbogen, zu dem ein schmaler Weg hinüber führt. Man kann hindurch und hinunter zur Küste schauen, aber leider nicht direkt bis unter den Bogen gehen, ohne eine waghalsige Kraxelei zu riskieren. Vorsicht! Man kann straucheln und fallen, ja sogar abstürzen!




Danach geht man wieder hinunter bis zum Hauptweg im Tal bei den Wegweisern und dann immer weiter in das Tal hinein, bis man nach 1,3km eine imposante Kanalbrücke sieht. Hier quert der Canal de Araya den Barranco. Kurz davor steht rechts am Hang ein Wasserhaus, das zum Wasserstollen von Chinavargo gehört, der auf der gegenüberliegenden Talseite seinen Ausgang hat. Vor dem Wasserhaus steigt man rechts den ausgeschilderten Wanderweg 296.2 hinauf, der alsbald der Kanal überquert.


Das ist ein interessanter Weg, der nur am Anfang und auf einem weiteren kurzen Abschnitt etwas steiler ist, aber ansonsten bequem direkt im oder neben dem Bachbett der Schlucht verläuft. Es handelt sich um den alten Versorgungsweg für die Galería Chacorche. Treppen sind direkt in den Fels gehauen, und steilere Stellen sind mit Steinen ausgelegt. Was alles hier hinauf geschleppt werden musste – am Ende der Welt wird man es entdecken.
Das Ende der Welt liegt allerdings noch etwa 200m höher. Die Schlucht wird alsbald immer enger, man geht direkt unter Felsen hindurch und schaut nach oben zu den steil aufragenden Bergen. Kaum zu erahnen, dass diese Gipfel noch einmal 500m höher sind.

Plötzlich taucht nach einer Biegung der Schlucht eine Kanalbrücke auf, die von einem Wasserhaus links oben kommt. Kurz danach steht man am Ende des Wegs. Hinter den verrosteten Transportloren und Schienen entdeckt man den Ausgang der Galería, die mit einem Gittertor verschlossen ist. Der Wasserstollen von Chacorche ist einer der vielen, die es hier auf der Ostflanke der Berge gibt. Er reicht 3120m tief ins Innere des Gebirges und wurde 1932 gebaut. Seine Wasserschüttung schwankt zwischen 33 und 133 Litern pro Sekunde, laut eines Dokuments von 1934. Der „Plan de Obras Hidraulicas“ des Cabildo von 1961 gibt eine Schüttung von 740 Pipas pro Stunde an, was etwa 100 Liter pro Sekunde entspricht. (In ganz Teneriffa werden Wassermengen auch heute noch in Pipas angegeben, 1 Pipa = 480 l)
Insgesamt gab es einmal 1122 solcher Galerías auf der Insel, davon sind aber nur noch 482 in Betrieb, dafür aber mit größerer individueller Fördermenge. Diese ist in den Jahren von 2012 bis 2017 um 3,4% gesunken.






Die Arbeitsbedingungen in den Galerías muss man sich vor hundert Jahren etwa so vorstellen:


In der der Galería gegenüber liegenden Steilwand befindet sich das Maschinenhaus direkt unter einem überhängenden Felsen. Es ist unbedingt lohnend, dort hinauf zu klettern und einen Blick ins Innere zu werfen. Zu sehen ist ein monströser Dieselmotor und der Kompressor, mit dem Druckluft erzeugt wurde. Zahnräder, Werkzeug, Schrauben und eine komplette Werkbank, die so aussieht, als sei gestern dort noch gearbeitet worden – abgesehen von Rost und Staub. Man wundert sich, wie das alles mit Eseln und Pferden hier herauf kam.






Eigentlich müsste das alles in ein Museum, denn es sind erstaunliche Exemplare alter Ingenieurskunst. Doch wer will die Tonnen schweren Maschinen wieder die Schlucht hinunter schleppen?

Der Wanderweg in den Barranco Chacorche wurde im Jahr 2003 für 18500 € verbessert und ausgeschildert, davon wurden 60% aus dem Subventionsprogramm zur Entwicklung ländlicher Regionen des Landwirtschaftsministeriums finanziert, den Rest trug die Gemeinde Candelaria. Der Weg von der Galería hinunter durch die Schlucht bis zum Friedhof ist etwa 3,2 km lang, man schafft den Rückweg bequem in etwa 75 Minuten.


Der Friedhof „San Francisco“ von Igueste ist noch relativ jung, er wurde erst 1951 eingeweiht, davor mussten die Toten bis hinunter nach Candelaria getragen werden. Igueste war schon seit langer Zeit ein symbolträchtiger und magischer Ort für die Guanchen. Die früheren Bewohner der Insel führten hier kollektive Begräbnisse durch und brachten das geheiligte Vieh hier her, um es der Virgen de Candelaria zu opfern. Nach der spanischen Eroberung lebten wurde Igueste das wichtigste landwirtschaftliche Produktionszentrum der Gemeinde und war lange Zeit der bevölkerungsreichste Stadtteil. Die erste Einwohnerzahl wurde im Jahr 1737 mit 28 Personen angegeben, 1860 zählte man 514 Einwohner. 1864 wurde die erste Grundschule eingerichtet. Bis 1929 gab es nur Fußpfade zum Ort, erst dann wurde ein befahrbarer Weg zur Hauptstraße gebaut. Der Stadtteil hat heute etwa 2100 Einwohner.



Vor der Gefahr einer möglichen Invasion der Alliierten im Zweiten Weltkrieg wurde in Igueste 1942 sogar Verteidigungsanlagen gebaut, die mit Kanonen bestückt waren. Die Reste davon findet man heute noch oberhalb der Autobahn.



Wer noch Kräfte übrig hat, kann einen Rundgang durch Igueste machen. Auf dem Spaziergang findet man in den Weilern Pasacola oder El Barrio de Jiménez noch viele Häuser mit der traditionellen Architektur und den ureigenen Elementen des Landlebens wie Brennöfen und Dreschplätze. Durch diesen Ort verläuft auch der Camino Viejo de Candelaria, der frühere Verbindungsweg mit La Laguna. Später wurde er zum Wallfahrtsweg für die Pilger, die der Virgen de Candelaria ihre Ehre erweisen wollten. Diese Funktion hat er bis heute.

Entfernung: Friedhof bis Ende der Welt etwa 3,2km, man geht hin und zurück
(zum Felsentor 540m hin und zurück, Höhenunterschied 100m)
Gehzeit: 3h (+ 40 min zum Felsentor und zurück)
tiefster Punkt 190m, höchster Punkt 730m
Karte (blau=Schlucht, rot = Abstecher Felsentor):


Abstecher zum Felsentor:


Anfahrt: Von der Hauptstraße, die ins Ortszentrum hinaufführt, biegt man kurz nach der Plaza Dimas Coello (ein Maler und Dichter aus diesem Ort) in den Camino Los Revolcaderos ab, der „cementerio“ ist ausgeschildert.
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Eine spannende Wanderung in eine Schlucht bei Güímar findest du hier: Schlucht der Legenden. Mehr zum Thema Wasser und Galerías gibt es in den Artikeln Entdeckungstour, Spurensuche und Geschichten von Wald und Wasser. Eine Übersicht gibt es auf der Seite WASSER.
Ganz in der Nähe kannst du ab der Freizeitanlage Los Brezos eine Rundwanderung oberhalb der Schlucht machen: Auf in die Berge! Suchst du eher eine bequeme Wanderung, ebenfalls mit Wasserstollen? Dann schau hier nach: Wildnis bequem.
Diese Wanderung als pdf und als kmz für Google Earth: Lies nach auf der Seite SERVICE oder schreib eine Mail.
Artikel Nr. 6-1-99
Toller Bericht und Einblick in eine andere, beschwerliche Zeit.
Immer interessant, bei dir reinzuschnuppern.
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