Abgründe

Von Icod El Alto nach Los Realejos.

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Fantastische Ausblicke über das Orotava-Tal und interessante Einblicke in die Geschichte der Region kann man entdecken, wenn man in den Orten Icod El Alto und Los Realejos spazieren geht.

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Genau genommen gibt es den Ort Los Realejos erst seit 1955, als sich die beiden Dörfer Realejo Alto und Realejo Bajo zusammenschlossen, die bis heute durch eine tiefe Schlucht voneinander getrennt sind. Noch genauer gesagt, gab es davor schon mehrere Versuche, die beiden Dörfer zu vereinigen, 1823, 1836 und 1925, aber alle wurden wieder rückgängig gemacht. Der Name beider Orte geht zurück auf die Militärlager (reales), angeblich lagerten in Realejo Bajo die Guanchen und in Realejo de Arriba, wie es früher hieß, die spanischen Eroberer. Sicher ist, dass es hier ein großes Heerlager nach der Eroberung Teneriffas im Jahre 1496 gab.

Auf beiden Seiten der trennenden Schlucht hängen die Häuser der Stadtteile über dem Abgrund. Wer vom Rathaus im modernen Teil von Realejo Alto hinüber will in das historische Zentrum von Relaejo Bajo, muss eine schmale Straße benützen, die noch dazu nur in einer Richtung befahrbar ist, oder einen großen Umweg machen.

Dem so genannten „Frieden von Los Realejos“, der in Wirklichkeit eine Kapitulation der Guanchen war, ging ein tragisches Ereignis voraus. Bentor, der letzte Mencey (König) des Guanchenreichs Taoro, führte seine Krieger in die Schlacht von Acentejo, die mit einer vernichtenden Niederlage der Guanchen endete. Um nicht in die Sklavenschaft der Eroberer fallen zu müssen, stürzte sich Bentor von einem der Felsen in der Wand von Tigaiga in den Abgrund. Am heutigen Aussichtspunkt El Lance steht eine übermannsgroße Statue von Bentor in einer verzweifelten Position. Die Bronzestatue wurde 1996 von der Künstlerin Carmen Luís León geschaffen.

Die Stadt Los Realejos ist besonders stolz auf zwei berühmte Männer. Der erste ist José Antonio de Viera y Clavijo (1731-1813). Er war ein wirklicher Allgemeingelehrter, ein geweihter Geistlicher, ein Geschichtsforscher, ein Botaniker und ein Dichter. Er reiste durch alle europäischen Hauptstädte und besorgte sich in Rom die offizielle Genehmigung zum „Lesen verbotener Bücher“. Er beschrieb die Elefanten im Wiener Tiergarten und studierte Chemie und Physik in Paris. Er schrieb die erste „Geschichte der Kanarischen Inseln“ und das „Lexikon der Naturgeschichte der Kanarischen Inseln“, sein dichterisches Werk ist eine dreizehnbändige „Lobeshymne auf die Kanaren“. Kein Wunder, dass man ihn hier in seiner Geburtsstadt besonders verehrt. Lies hier den Artikel über ihn: Die Hochzeiten der Pflanzen.

Seit Juni 2017 ist sein Angesicht auf einem 130 Quadratmeter großen Wandgemälde in Realejo Alto zu sehen, das der bekannte Graffiti-Künstler Matias Mata, Sabotaje al Montaje, geschaffen hat. Die zweite berühmte Persönlichkeit auf diesem Wandbild ist Antonio Ganzález González (1917-2002), der ebenfalls hier geboren wurde. Er war einer der wichtigsten spanischen Forscher auf dem Gebiet der Biochemie und erhielt mehrere Wissenschaftspreise für seine Untersuchungen über die Chemie von Naturprodukten.

Auch der 200m höher liegende Ortsteil Icod El Alto hat ein paar Geschichten zu bieten. Gegenüber der Kirche steht ein „Denkmal für die Schweinehändler“. Es ist eher unauffällig und steht auch erst seit 2011 am Straßenrand. Doch die Schweinehändler dieses Dorfes waren früher weit über die Grenzen von Los Realejos hinaus bekannt. Sie züchteten hier die besten Schweine und lieferten die Ferkel über die ganze Insel aus. Um Mitternacht packten sie die Ferkel in Körbe aus Kastanienholz, und dann zogen sie los, über die Cañadas bis hinunter nach Granadilla oder Los Cristianos, 14 Stunden auf dem Rücken eines Esels.

Hier oben in Icod El Alto ist auch die Heimat der kanarischen Kartoffel. Die „papas bonitas“ und all die anderen Sorten wurden hier zum ersten Mal angebaut. Die Felder auf den Hängen rund um Icod El Alto waren sozusagen der Akklimatisationsgarten für die Kartoffeln, nachdem sie im frühen 16. Jahrhundert aus Mittelamerika hier ankamen. Sie wurden hier gezüchtet, um sie an das europäische Klima anzupassen.

Auf den Terrassenfeldern oberhalb von Icod El Alto liegt auch eines der wichtigsten Weizenanbaugebiete der Insel. Von Problemen bei der Ernte erzählt der Artikel 70% Ernteverlust.

Icod El Alto feiert jedes Jahr am letzten Sonntag im August das Fest zu Ehren der „Jungfrau von der Guten Reise“. Sie ist die Schutzpatronin der Emigranten und wird mit großem Aufwand verehrt und durch den Ort getragen, sie gilt auch als die Jungfrau „Candelaria del Norte“. Alle sieben Teilorte der Gemeinde, die „cuarteles“, beteiligen sich am Fest, das natürlich nicht nur einen Tag dauert. Die Straßen rund um die Kirche sind herrlich geschmückt.


Wanderung

Auf einer abwechslungsreichen Wanderung kann man einige der hier beschriebenen Punkte kennenlernen und noch dazu die überwältigende Landschaft am Rande des Orotavatals genießen. Es ist eine Streckenwanderung, bei der man am besten die Anfahrt mit dem Bus macht (siehe unten).

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Vor der Dorfkirche von Icod El Alto stehen sieben Fahnenmasten, sie zeigen die Flaggen der sieben „cuarteles“, der Teilorte des Dorfes. Gegenüber sieht man das Denkmal für die Schweinehändler. Gleich neben der Kirche geht man die steile Calle El Calvario hinunter, biegt links und gleich wieder rechts ab. Diese Straße ist richtig steil, und sie wird weiter unten noch steiler. Nach 200m überquert man die Calle La Gallinera und geht noch weiter abwärts in den Camino El Burro. Nach etwa 100m biegt man rechts ab auf einen betonierten Fahrweg, der jetzt fast eben verläuft und schon herrliche Ausblicke über die Küste bietet. Wo der Fahrweg endet, gibt es zwei Trampelpfade. Einer, der nach unten verläuft und direkt an den Steilabhang der Schlucht heranführt, von dort geht man wieder nach rechts oben auf die Häuser zu. Der nach oben verlaufende Pfad ist kürzer, bietet aber keinen so Schwindel erregenden Blick in den Abgrund.

In jedem Fall trifft man oben auf ein asfaltiertes Sträßchen und schnauft weiter hinauf, biegt oben links ab und kommt zu einer kleiner Kapelle mit einer Aussichtsterrasse davor. Hier wird man sicherlich eine kleine Verschnaufpause einlegen, denn schließlich ist man gerade fast 70 Höhenmeter heraufgeschnauft. Tief unten am Ende des namenlosen Barranco sieht man ein Stück der Küstenstraße.

Direkt hinter der Kapelle geht ein Weg leicht bergab. Dort kommt man bald an einer Quelle unter einem schattigen Felsvorsprung vorbei (kein Trinkwasser!). Auf der anderen Seite geht der Weg hinter einer Brücke wieder leicht bergauf bis zur Hauptstraße. In der kleinen „Schutzhütte“ am Straßenrand sitzen oft die Männer beim Dominospielen.

Nur ein kurzes Stück weiter befindet sich die Stelle, an der sich Mencey Bentor in den Abgrund gestürzt haben soll. Ob es genau hier war, ist unklar, aber hier steht sein Denkmal. (Mehr über die Menceyes findest du hier: Die neun Könige.) Der Aussichtspunkt kann sich wirklich „sehen“ lassen. Hier überblickt man das gesamte Orotavatal, tief unten liegt das Häusermeer von Los Realejos. Von weiter oben, vom Aussichtspunkt La Corona, stürzen sich heutzutage die Gleitschirmflieger in den Abgrund. Am besten genießt man die Aussicht bei einer Tasse Kaffee.

Weiter geht es nun auf dem extra neben der Straße angelegten Gehweg, der meist schwebend, als Metallkonstruktion, über dem Abgrund an die eigentliche Straße angebaut wurde – nichts für Leute mit Höhenangst. Bald kommt man an die Stelle, wo der Tigaiga-Pfad nach links unten abzweigt. Es ist ein uralter, gepflasterter Weg, der nun in steilen Serpentinen bergab führt. Die Steine sind glatt geschliffen von den Schritten der Schweinehändler und Kartoffelbauern, die früher hier herunter gehen mussten, um ihre Produkte auf den Märkten von Los Realejos oder La Orotava zu verkaufen, denn die Straße gab es damals noch nicht.

Beim ersten Haus wird der Weg wieder befahrbar, dort geht man scharf links ab und noch ein kurzes Stück weiter auf dem Pflasterweg, der dann in einen betonierten Fahrweg und bald in eine Straße übergeht. Der Abstieg ist geschafft.

Bei einer kleinen Kapelle beginnt die Calle El Aserradero. Dort kommt man nach 100m an der Casa La Coronela aus dem 16. Jahrhundert vorbei. Dieses alte Herrenhaus besitzt ein Oratorium und war fast hundert Jahre lang die Heimstätte der Heiligen Jungfrau vom Rosenkranz, deren Statue jetzt in der Mutterkirche La Concepción in Realejo Bajo steht. Das Haus ist in Privatbesitz und weist auf der Meerseite einige schöne alte Balkone auf, die man von weiter oben erkennen kann.

Danach überquert man eine Straße und steigt ein paar steile Treppen nach oben. Vor dem Centro Socio Cultural La Caldereta gibt es wieder eine Möglichkeit, sich auf einer Bank auszuruhen. Denn nun wartet wieder ein etwas steilerer Aufstieg.

Wer sich diesen ersparen will, kann links des Kulturzentrums geradeaus und eben weiter gehen, im Prinzip immer auf dieser Straße bleiben, und trifft dann unterhalb des Sportplatzes wieder auf den im folgenden beschriebenen Weg. Wer die Abkürzung nimmt, hat vielleicht noch Zeit und Energie für einen Abstecher zum Friedhof San Francisco. Dort steht der schönste Drachenbaum Teneriffas, der es gewiss mit dem berühmtesten von Icod de los Vinos aufnehmen kann.

Rechts des Kulturzentrums steigt man nun zunächst zwischen Häusern, dann zwischen Felder und Gärten, zunächst langsam, dann etwas steiler bergan. 500m weiter und 80m höher trifft man auf die Hauptstraße von Los Realejos nach Icod El Alto. Leider muss man nun auf dieser ein Stück abwärts laufen, aber schon nach der zweiten Kurve kann man sie wieder verlassen.

Bei dem Wartehäuschen mit dem schönen Spruch „Los Realejos – ein Dorf zum Leben“ geht man geradeaus weiter die Calle Viera y Clavijo hinunter. Nicht viel weiter unten, genau gegenüber des Sportstadions El Principe, befindet sich das bescheidene Geburtshaus des berühmten Herrn Viera y Clavijo.

Bei der nächsten Möglichkeit biegt man scharf rechts ab. (Von unten kommt hier die als Abkürzung beschriebene Wegvariante wieder herauf.) Bei einer Kapelle gibt es wieder eine Aussichtsterrasse über dem Abgrund. Gegenüber sieht man schon die Kirche von Realejo Alto, und in der Ferne Richtung Meer den großen Drachenbaum. Interessant ist auch, wie hier die Häuser auf beiden Seiten des Barranco an den Abgrund geklebt sind. Dies ist der Barranco, der die beiden Ortsteile trennt.

In wenigen Minuten ist man oben beim Rathaus, in dem sich auch die Stadtbibliothek Viera y Clavijo befindet. Hier war der Startpunkt des Ausflugs, und hier kann man von der Terrasse aus noch einmal hinaufschauen nach Icod El Alto und dem Mirador El Lance. Gegenüber der Kirche gibt es einen Kiosk mit Bar, wo man im Schatten eine wohlverdiente Erfrischung zu sich nehmen kann.


Organisatorisches:

Direkt vor dem Rathaus in Realejo Alto befindet sich die Bushaltestelle. Die Buslinie 354 nach Icod El Alto fährt immer zur halben Stunde in Puerto de la Cruz ab und kommt etwa 20 Minuten später hier vorbei. Wer mit dem Auto nach Realejo Alto kommt, findet am östlichen Stadtrand, am Beginn der TF-324 nach Cruz Santa, einen großen Parkplatz. Dort ist auch das Wandgemälde mit den beiden berühmten Persönlichkeiten. Von dort sind es nur 350m zum Rathaus.

Wer mit dem Bus zurück nach Puerto muss, geht unterhalb der Kirche etwa 200m die Straße hinunter. Am nächsten Kreisverkehr ist die Bushaltestelle für die Rückfahrt (Linien 353, 354).

Obwohl der Weg hauptsächlich auf Straßen und Fahrwegen verläuft, ist für den kurzen Aufstieg am Barranco und den Abstieg auf dem Sendero de Tigaiga gutes Schuhwerk erforderlich.

Karte (Teil 1)
blau = Weg, rot = Abkürzung 1, braun = Abkürzung 2
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Karte (Teil 2)
blau = Weg, gelb = Abkürzung 3, grün = Abstecher zum Drachenbaum
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Gesamte Entfernung: 5,5km, bei Abkürzung 1: 750m weniger, bei Abkürzung 2: 900m weniger.
Höchster Punkt 560m, tiefster Punkt 310m

Gehe zu Google Map:

Diese Wanderung als pdf und Track für Google Earth: Schau nach auf der Seite SERVICE und schreib mir eine Mail.

Ein Besuch von Los Realejos lohnt sich besonders im Mai. Dann findet das größte Feuerwerk Europas, der größte Viehmarkt und das bunteste Volksfest der Insel dort statt.

Schöne Waldwanderungen gibt es weiter oben im Steilhang, ausgehend vom Picknickplatz Chanajiga: Steil oder bequem. Zwischen den Aussichtspunkten der Corona und dem Asomadero versteckt sich im Wald die geheimnisvolle Quelle von Pedro: Maria und die Außerirdische.


Artikel-Nr. 21-2-79

3 Gedanken zu “Abgründe

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